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Wunsch nach Umgehung: Lärm und Abgase plagen Gemeinden

Wunsch nach Umgehung: Lärm und Abgase plagen Gemeinden

Umgehungsstraße
Arnd Goldhardt, Ortsteilbürgermeister von Großebersdorf, zeigt im Ort auf ein Plakat mit der Aufschrift "Außenrum statt mittendurch! Politiker helft uns endlich! Umgehungsstraße jetzt!". Foto: dpa

Was haben Thüringer Orte wie Kallmerode, Wasungen und Großebersdorf gemeinsam? Sie leiden unter Lärm und Abgasen des Durchgangsverkehrs und kämpfen deswegen für eine Umgehungsstraße. Mancherorts währt die Diskussion schon seit mehr als 80 Jahren.

Arnd Goldhardt hat den dichten Verkehr vor seiner Haustür satt. „Wir können hier schon lange nicht mehr bei offenem Fenster schlafen“, beklagt er. „Ab morgens halb vier wird es extrem laut.“ Goldhardt ist Ortsteilbürgermeister von Großebersdorf, wo sich südwestlich von Gera die Bundesstraßen 2 und 175 treffen. Bis zu 14.000 Fahrzeuge passierten den kleinen Ort täglich, schildert er, während Autos, Busse und Lastwagen auf dem Weg zur Autobahn 9 (Berlin-Nürnberg) an ihm vorbeirauschen. Im benachbarten Frießnitz ist die Straße gar so eng, dass viele Lastwagen stoppen müssen, weil sie sonst mit dem Gegenverkehr zusammenstoßen würden.

Die drei Nachbargemeinden Großebersdorf, Frießnitz und Burkersdorf kämpfen deswegen seit vielen Jahren für eine Umgehungsstraße – und sind damit in Thüringen bei weitem nicht allein. Wer durch den Freistaat fährt, begegnet vielerorts Schildern wie hier in Ostthüringen, auf denen sich Anwohner über Lärm und Abgase beschweren und eine Umgehungsstraße fordern. Etliche Orte haben es in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans 2030 geschafft – Kallmerode, Greußen und Gebesee zum Beispiel, aber auch Meuselwitz, Tüttleben, Buttelstedt und Gräfentonna. Andere kämpfen noch darum.

Wie viel in Umgehungsstraßen investiert?

Wird Thüringen nun, da das Autobahnnetz großzügig ausgebaut ist, zum Land der Umgehungsstraßen? Seit 2001 wurden laut Verkehrsministerium in Erfurt 36 Abschnitte von Ortsumfahrungen mit einer Länge von 120 Kilometern gebaut und dafür mehr als 449 Millionen Euro ausgegeben. Bis 2030 sollen nun weitere 38 mit einer Länge von 200 Kilometern und Kosten von mehr als 868 Millionen Euro hinzukommen. Ziel sei es, in besonders verkehrsgeplagten Orten, Anwohner von Lärm und Abgasen zu entlasten, betont Verkehrsministerin Birgit Keller (Linke).

Die Pläne stoßen nicht überall auf Begeisterung. Von „reiner Betonpolitik“ und einem „verkehrspolitischen Desaster“ spricht der Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND, Burkhard Vogel. Da mit dem Bau weiterer Straßen noch mehr Fläche versiegelt und die Landschaft zerschnitten werde, dürfe der Aus- und Neubau solcher Strecken nur das letzte Mittel sein, fordert er. Alternativen, den Straßenverkehr auf andere Weise aus den Orten zu bringen, würden nicht geprüft oder nur halbherzig angegangen. Als Beispiele nannte er eine Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen und den Ausbau von Bahnstrecken samt besserem Angebot im Nahverkehr.

„Der Straßenverkehr ist die Lärmquelle Nummer 1“, sagte Frank Zacharias, Lärmexperte der Landesanstalt für Umwelt und Geologie. Er kann deswegen die Anwohner stark befahrener Straßen verstehen. Doch werde mit Umgehungsstraßen das Problem nicht gelöst, sondern nur verlagert. Bedacht werden müsse auch, dass etwa für Handel und Gastgewerbe Kunden wegbrechen, wenn der Verkehr nicht mehr durch, sondern um einen Ort herum fließt. Zacharias schätzt, dass in Zukunft angesichts des Bevölkerungsschwundes und der hohen Kosten hierzulande immer weniger Umgehungsstraßen durchzusetzen sein werden.

Noch lange kein Ende beim Bau von Ortsumfahrungen

Ministerin Keller sieht dagegen noch lange kein Ende beim Bau von Ortsumfahrungen. „Wir gehen von steigenden Verkehren aus“, sagt sie und verweist auf die zentrale Lage Thüringens. Deswegen müssten solche Projekte auch künftig ein Schwerpunkt der Verkehrspolitik sein. „2030 sind wir damit noch lange nicht fertig.“ Vielmehr stünden etliche Umgehungsstraßen auf der Warteliste. Die Sorgen von Umweltschützern und auch Bauern, die durch solche Vorhaben wertvolles Acker- und Weideland einbüßen, nehme sie ernst, versichert Keller. „Ich bin sehr dafür, dass wir die Lkw-Maut auf Bundesstraßen ausweiten.“ Und es werde daran gearbeitet, als Ausgleichsflächen verstärkt vorhandene Industriebrachen statt Ackerflächen zu nutzen.

Damit die in der obersten Kategorie eingestuften Projekte letztlich tatsächlich gebaut werden, müssten auch die jeweiligen Planungen vorangetrieben werden. Etliche befänden sich da noch am Anfang. Und dem Land fehlt es hierfür an Fachpersonal. Keller spricht von aktuell 20 offenen Stellen in diesem Bereich, die nach ihrem Willen aber zügig besetzt werden sollen. Sie rechne zudem fest damit, dass – wie vom Bund zugesagt – für alle Projekte aus dem vordringlichen Bedarf auch das dafür notwendige Geld zur Verfügung gestellt werde.

Land hat zu wenige Planer

Das war in den vergangenen Jahrzehnten nicht so, wie die Bewohner von Großebersdorf, Frießnitz und Burkersdorf erfahren haben. Deswegen bleibt Ortsteilbürgermeister Goldhardt skeptisch. Sorgen bereitet ihm auch, dass es beim Land nicht genug Planer gibt. Denn die im Verkehrswegeplan auf gut 26 Millionen Euro taxierte Ortsumfahrung für die drei Orte befindet sich erst im Vorentwurf. Bevor überhaupt Bagger anrücken können, sind detailliertere Planungen nötig.

Dabei dauert das Ringen um die Ortsumfahrung schon weit mehr als 80 Jahre. Aus einem Ordner kramt der 60-Jährige ein auf den 26. Juni 1934 datiertes Schreiben hervor. In Fraktur ist das Thüringische Kreisamt Gera als Absender ausgewiesen. Die Behörde kündigt Vermessungsarbeiten für die Verlegung der Fernstraße an. Goldhardt: „Wir sind Deutschlands ältestes Umgehungsstraßenprojekt.“