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„Die Kleine wehrt sich ja ganz schön“: Warum das Urteil zum Vergewaltigungs-Chat trotzdem milde ausfiel

„Die Kleine wehrt sich ja ganz schön“: Warum das Urteil zum Vergewaltigungs-Chat trotzdem milde ausfiel

Skype ist ein Chat-Klassiker.
Skype ist ein Chat-Klassiker. Foto: dpa

Ein Mann aus Gotha gibt Anweisungen zum Missbrauch einer Zweijährigen und schaut via Skype zu. Der Richter spricht während der Verhandlung von Menschenverachtung – folgt aber nicht der Sicht der Anklage.

Ihr Vater missbraucht sie, ein anderer Mann gibt ihm Anweisungen. Von der Gegenwehr des hilflosen Mädchens lassen sich die beiden Männer nicht bremsen. „Die Kleine wehrt sich ja ganz schön“, schreibt der Mann aus Gotha, der bei der Tat im August vergangenen Jahres via Skype Regie führte und zusah. Das Landgericht Erfurt verurteilt den 34-Jährigen am Freitag wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten zur Bewährung.

Tochter über Monate vergewaltigt, gequält und gefilmt

Der Fall hatte bereits im Juli für Aufsehen gesorgt, als ein Mann aus Lübeck – der Vater der Zweijährigen – verurteilt worden war. Die Richter schickten den damals 29-Jährigen für zehn Jahre und neun Monate hinter Gitter. Nach ihrer Überzeugung hatte er seine Tochter über Monate hinweg immer wieder vergewaltigt, gequält und dabei gefilmt. Zudem ordneten die Richter die Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie an. Bundesweit sollte gegen mehr als 50 weitere Männer ermittelt werden, die die Missbräuche live im Internet verfolgt haben sollen.

Verurteilter einer von vielen

Einer von ihnen ist der 34 Jahre alte, gelernte Handelsfachmann aus Gotha, der Freitag in schwarzer Jeans und schwarzem Shirt vor dem Landgericht Erfurt sitzt. Er seufzt tief, während Staatsanwältin Claudia Polz ihr Plädoyer hält und ihm seinen Tat vorhält. Am Vortag kommen ihm zwischendurch die Tränen.

Chat-Protokolle geben Einblick in Greueltat

Die Verhandlung ist zeitweise nicht öffentlich – zum Schutz des Opfers. Ein Psychologe wird ebenso in Abwesenheit der Zuschauer gehört wie die Wiedergabe des Chat-Protokolls zwischen dem Angeklagten und dem Mann aus Lübeck.

Der Beobachter bekommt dennoch eine ziemlich genaue Vorstellung über das, was am 27. August 2016 geschehen ist. Darüber, welche Kommentare hin und her gingen, welche Anweisungen der Angeklagte dem Lübecker gab – und welche dieser befolgte.

Wer ist Täter? Wer ist Anstifter?

Die rechtliche Frage, an der sich am Freitag die Geister scheiden: Ist der Angeklagte selbst Täter – oder Anstifter der Tat? Für Polz ist die Sache klar: „Der Angeklagte hat hier die Tat erschaffen. (…) Er hat nicht angestiftet, er war Täter.“ Sie bleibt mit ihrer Forderung – drei Jahre und acht Monate Haft wegen schweren, gemeinschaftlichen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen – jedoch erfolglos. Und kündigt an, in Revision zu gehen.

Dabei spricht der Vorsitzende Richter, Holger Pröbstel, selbst von Menschenverachtung, die aus den Chat-Bemerkungen des Angeklagten hervorgingen. „Das ist real gewesen. Da lag dieses Kind“, sagt er zu dem 34-Jährigen. Der Sicht der Anklage folgt er trotzdem nicht.

„Mir ist bewusst, dass es abscheulich war“

Der Angeklagte räumt seine Taten ein und zeigt Reue. Die abwesende Mutter des Opfers – die auch Nebenklägerin ist – bittet er in einem Brief um Entschuldigung. Während der Haft sei ihm „immer mehr bewusst geworden, welche abscheuliche Tat ich unterstützt und begangen habe“, liest Verteidiger Peter Helkenberg im Namen seines Mandanten. „Ich zerreiße mich gedanklich, schlafe kaum noch und bereue diese Geschehnisse zutiefst.“

Richter erkennt Reue

Richter Pröbstel nimmt ihm diese Reue ab – und berücksichtigt sie im Urteil. Außerdem hält er dem Angeklagten zu Gute, dass er einen Täter-Opfer-Ausgleich angestrengt und offen über seine Tat und seine Probleme geredet habe. Er verpflichtet ihn zu einer Sexualtherapie.

Eltern bürgen für Täter-Opfer-Ausgleich

Der Angeklagte gibt vor Gericht an, wenige Freunde, aber regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern zu haben. Diese gaben ihm auch einen 5000-Euro-Kredit für den Täter-Opfer-Ausgleich. Zu ihnen will er nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft zunächst wieder ziehen.

Gleichzeitig kündigt er an, alles dafür tun zu wollen, dass ein solcher Fall sich nicht wiederhole. Sein letztes Wort: „Ich werde jedwede Hilfe annehmen, die ich kriegen kann.“