Veröffentlicht inPolitik

Kanzler Merz sägt am eigenen Ast – so kann Schwarz-Rot unmöglich 4 Jahre durchhalten

Schwarz-Rot sollte Stabilität bringen, doch schon jetzt gerät Merz ins Schwimmen. Es gibt neue Kritik nach seinem ARD-„Sommerinterview“.

© IMAGO/Panama Pictures

Diese Noten bekommt das Kabinett Merz von den Bürgern

Als Jurist kennt Kanzler Friedrich Merz Grundgesetz-Artikel 38 nur zu gut. Dort heißt es über die Abgeordneten des Bundestages: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Genau darauf verweist der Bundeskanzler im ARD-„Sommerinterview“, als ihn Hauptstadtstudio-Chef Markus Preiß in die Enge treibt. Es geht um die Blamage bei der abgeblasenen Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin.

Wenn Merz nun auf die Gewissensfreiheit der Abgeordneten pocht, ist das zwar verfassungsrechtlich korrekt. Er dürfte damit jedoch gleich zwei Fehler begehen, die ihm mittelfristig noch mehr Probleme einbringen werden.

+++ Lesenswert: Merz: Bereits drei große Krisen – Bürger wollen schon die Ampel zurück +++

Koalition könnte „früher beendet sein, als gedacht“

Zum einen versucht Merz den Eindruck zu zerstreuen, dass er und Fraktionschef Jens Spahn den CDU/CSU-Laden im Bundestag nicht im Griff haben. Damit aber gewährt er den Abweichlern in der Unionsfraktion einen Freifahrtschein für künftige umstrittene Entscheidungen. Kommt es wiederholt dazu, dass viele CDU/CSU-Abgeordnete aufbegehren, dürfte sich der Eindruck von Führungsschwäche verstärken.

Verheerender aber noch: Damit stellt Merz auch die Regierungsfähigkeit von Schwarz-Rot infrage. Und das nach wenigen Wochen im Amt! Der Berliner SPD-Politiker Orkan Özdemir, eine der lautesten Stimmen des linken Flügels seiner Partei, schrieb schon vor dem Merz-„Sommerinterview“ auf Instagram: „SPD-MdBs haben unter Tränen und gegen ihre Überzeugung gegen den Familiennachzug gestimmt. Weil es so mit der Union abgesprochen war. Die Union dagegen hat schon mehrere Absprachen gebrochen. Und nun den Vogel bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter abgeschossen.“

Entweder müsse Spahn zurücktreten, so der Sozialdemokrat, „oder diese Koalition ist früher beendet, als gedacht“.

Auch linke SPDler im Bundestag könnten also künftig auf Vereinbarungen mit der Unionsspitze pfeifen und auf ihr Gewissen und ihre Überzeugungen verweisen. Die Fraktions- und Koalitionsdisziplin wäre dahin. So wird das schwarz-rote Regierungsprojekt nicht funktionieren.

Hauptstadt-Journalist: Merz hat „Büchse der Pandora geöffnet“

Hauptstadt-Insider Gordon Repinksi erinnert via X daran, dass die Fraktionsdisziplin im Kapitel 6 des Koalitionsvertrages für Verfahrens-, Sach- und Personalfragen sogar verabredet wurde. Es sei eine „absolute Selbstverständlichkeit, sonst funktioniert nichts mehr“, so der Journalist.

Gewissensentscheidungen gebe es im Bundestag nur in Ausnahmefällen, Merz aber mache den Abgeordneten von Union und SPD das Zugeständnis eines „sehr erweiterten Begriffs von Gewissensentscheidungen“. Repinskis Prognose auf X: „Das wird diese Koalition verändern, den Einzelnen stärken und Mehrheiten in der Koalition auf der anderen Seite schwerer machen.“ Merz habe damit „die Büchse der Pandora“ geöffnet, am Ende drohe das „Koalitions-Chaos“.


Weitere Nachrichten für dich:


Eine andere Perspektive bringt der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu in die Debatte. Ebenfalls auf X kommentiert Felgentreu , er könne den „Unsinn“ der Gewissensfreiheit nicht mehr hören. Er betont: „Sich loyal zu verhalten, obwohl man inhaltlich Zweifel hat, ist genauso eine Gewissensentscheidung wie das Gegenteil.“