Die Diskussion um das Hissen der Regenbogenflagge zum Berliner CSD (26. Juli) hat hohe Wellen geschlagen. Seit 2022 war dies Usus, doch in diesem Jahr ist Schluss mit dem Sonderrecht zum Christopher Street Day. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat das Hissen untersagt.
Die queere Community fühlt sich vor den Kopf gestoßen. Dieser gehört auch Nyke Slawik (Bündnis 90/Die Grünen) an. Sie ist eine der ersten transgeschlechtlichen Frauen im Bundestag und queerpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Im Interview spricht sie von maßloser Enttäuschung, die nichts anderes als „geschichtsvergessen“ sei. Gleichzeitig kündigt sie kreativen Widerstand der Grünen an.
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Frau Klöckner hat das Hissen der Regenbogenfahne anlässlich des Berliner CSD untersagt. Nehmen Sie uns mit in Ihre Gefühlswelt.
Ich bin sauer und sehr enttäuscht darüber, dass die Union in keiner Weise versteht, dass sie vielen Menschen im Land auf die Füße getreten ist. Wir leben aktuell in einer Situation, in der viele CSD nur unter Polizeischutz stattfinden können und die queer-feindliche Gewalt, also registrierte Straftaten, immer weiter zunimmt. Dass sich die Union genau während dieser gesellschaftlichen Stimmung, wo unsere Community gezielten Angriffen ausgesetzt ist, zu diesem Schritt entscheidet, ist ein Spiel mit dem Feuer. Wenn der Kanzler dann noch einen Zirkus-Vergleich zieht, ist es sogar ein massives Öl ins Feuer gießen. Die Union scheint nicht zu verstehen, dass die Gewalt in gewisser Weise auch ein Spiegel dessen ist, wie auf der Berliner Bühne mit der Akzeptanz von queeren Menschen umgegangen wird. Das enttäuscht mich sehr. Ich wünsche mir dringend eine größere Solidarität.
Slawik: Unionspolitiker wollen „Stimmungsmache“ testen
Der Widerstand insbesondere der Grünen und der Linken gegen diese Anordnung ist sehr groß. Trotzdem beharren beispielsweise Frau Klöckner und Herr Merz auf ihrer Meinung. Ist die Union intolerant?
Mein Eindruck ist, dass manche Akteure in der Union austesten wollen, wie man mit Stimmungsmache gegen queere Menschen arbeiten kann. Einige denken anscheinend, dass man sich durch diese Taktik einen Vorteil verschaffen kann.
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Wie wurde der knallharte Kurs der Union in ihrer Fraktion wahrgenommen?
Wenn Bundestagspräsidentin Julia Klöckner jetzt die Regenbogenflagge zum Berliner CSD auf dem Reichstag verbietet und Innenminister Dobrindt das Hissen der Fahne auf den Ministerien beschränkt, dann müssen wir kreativ werden und diese Anordnung irgendwie ausgleichen. Es kann nicht sein, dass queere Menschen jetzt aus dem öffentlichen Bild verdrängt werden. Das werden wir definitiv nicht kampflos hinnehmen und unsere Interessen einbringen.
Politisch passiert gerade auch viel in der Queer-Politik. Im Bundesrat sind gerade zwei neue Themen eingebracht worden von den Ländern. Sie wünschen sich zum einen, dass Regenbogen-Familien endlich rechtlich gleichgestellt werden mit heterosexuellen Partnerschaften. Außerdem hat das Land Berlin einen Antrag zur Grundgesetzänderung eingebracht, damit queere Menschen endlich auch im Artikel 3 im Diskriminierungsschutz erwähnt werden. Aber, wen wundert es, in beiden Fällen blockt die Union. Wir werden in den nächsten Wochen darauf aufmerksam machen, dass es hier nicht nur um eine Symboldebatte geht, sondern um konkrete Probleme in diesem Land.
Grüne werden zum CSD Aufmerksamkeit schaffen
Sind Aktionen oder ähnliches geplant, um auf genannte Anliegen aufmerksam zu machen? Oder werden sämtliche Vorhaben „von oben“ verboten?
Das Vorgehen der Bundestagspräsidentin beziehungsweise der neuen Hausleitung ist viel rabiater geworden. Es war auch in der letzten Legislaturperiode so, dass das Zeigen und Mitsichführen von Flaggen im Plenum und auf den Fluren des Bundestages aufgrund der Neutralität untersagt war. Das finde ich auch nachvollziehbar. Aber dass jetzt sogar einzelne Abgeordnete aufgefordert werden, die Regenbogenflagge in ihrem Büro abzuhängen oder ihren Regenbogen-Anstecker abzunehmen, ist ein neues Level. Das finde ich sehr bedenklich. Der Regenbogen ist auch kein parteipolitisches, ideologisches Symbol, sondern ein Erkennungszeichen queerer Menschen und derjenigen, die sich solidarisch zeigen.
Im September wird es dann auch noch einmal sehr brisant, weil die AfD einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes eingereicht hat. Der Innenminister plant außerdem einen Erlass, dass in den Behörden ein Sonderregister über transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen haben, geführt werden muss. Das sehen wir sehr kritisch und wir werden uns natürlich überlegen, wie wir auf solche konkreten Sachen reagieren können. Es ist denkbar, dass wir Aktionen unternehmen, die Bilder erzeugen und mit denen wir die Probleme sichtbar machen können. Aber die konkreten Planungen kann ich natürlich nicht verraten.
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Frau Klöckner und andere Unionspolitiker verweisen darauf, dass die Deutschlandfahne alle Facetten abdecke. Sie stehe für Demokratie, Freiheit, gleiche Rechte und den Rechtsstaat. Wenn man dieser Argumentation folgt, hat sie dann nicht recht?
Das ist absolut geschichtsvergessen, weil auch im Namen der Bundesrepublik queere Menschen massiven Verfolgungen ausgesetzt waren. Der Paragraph 175, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte, wurde bei uns erst 1994 abgeschafft. Lesbischen Müttern ist bis in die 90er Jahre oft das Sorgerecht entzogen worden. Trans-Personen, die eine Änderung ihres Namens- und Geschlechtseintrages vornehmen wollten, waren nach Gesetzeslage in Deutschland bis 2008 gezwungen, sich scheiden zu lassen. Bis 2011 gab es außerdem den Sterilisationszwang. Trans-Personen mussten bis dahin nachweisen, dass sie sich einer Operation unterzogen hatten, die sie dauerhaft fortpflanzungsunfähig macht.
Das sind nur wenige Beispiele, an denen man bereits sieht, dass viele Gesetze gegenüber Schwulen, Lesben, bisexuellen und transgeschlechtlichen Menschen diskriminierend waren oder beispielsweise intergeschlechtliche Menschen nicht ausreichend schützen. Das sind teilweise krasse Menschenrechtsverletzungen. Das ist alles in einem freiheitlichen und demokratischen Land geschehen und die Änderung hat oft sehr lange gedauert. Ich finde es daher sehr geschichtsvergessen, die Solidarität mit queeren Menschen wegzuwischen und zu behaupten, dass diese Solidarität durch die Deutschlandfahne verkörpert wird.

Sie sagten, es sei keine rein symbolische Debatte. Was bringt es denn dann, wenn an einem Tag die Regenbogenflagge gehisst wird? Ist die aktuelle CSD-Debatte nicht etwas aufgebauscht?
Das ist wie, als wenn man die Nachrichten verfolgt: Die Regenbogenflagge ist im Prinzip nur die Überschrift und der Inhalt steckt dahinter. Man macht mit der Flagge aufmerksam und schafft eine Sichtbarkeit dafür, dass es nicht überall eine rechtliche Gleichstellung gibt und dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität noch immer Anfeindungen erleben. Die Flagge prominent zu hissen, ist daher ein guter Anlass, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen.
Wie hat die queere Community auf die jüngsten CSD-Anordnungen reagiert? Welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die einzige Fraktion, die in einem parlamentarischen Verfahren beantragt hatte, dass die Regenbogenfahne nicht mehr gehisst werden soll, die AfD war. Die Union ist in dem Thema sehr vielstimmig unterwegs. Es gibt auch unionsgeführte Landtage, wo zu den jeweiligen CSDs nach wie vor die Regenbogenflagge gehisst wird. Das ist auch in Bayern der Fall. Aber aus der Community habe ich schon sehr viel Enttäuschung wahrgenommen. Viele haben aktuell Angst vor der Zunahme der Gewalt. Viele transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen haben Angst, ob das Selbstbestimmungsgesetz erhalten bleibt, weil das für viele ein großer Erfolg war. Mit dem Erlass von Herrn Dobrindt, eine Sonderkartei für trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen einzuführen, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen, hat er die Sorgen definitiv noch weiter vergrößert. Es werden Rückschritte und Ausmaße wie in den USA befürchtet.
Die aktuelle Debatte kann schnell auf die persönliche Ebene überschlagen, besonders bei direkt involvierten Personen wie ihnen. Inwieweit ist das parlamentarische Zusammenleben belastet?
Ich persönlich habe freundschaftliche Drähte in alle demokratischen Fraktionen, also in alle außer der AfD. Mit Frau Klöckner hatte ich persönlich bislang zwar noch nichts zu tun, aber ich habe Freunde in der Union. Ich muss sagen, dass das Thema schon sehr in der Magengrube drückt. Selbstverständlich belastet das auch meine persönlichen Beziehungen im Bundestag. Mir fällt es aktuell schwerer, das gute Verhältnis aufrechtzuerhalten.
Auch wenn sie keine persönlichen Kontakte zur AfD haben, im Parlament muss es ja aber funktionieren. Die AfD hat sich neue Benimmregeln auferlegt. Merken sie davon schon etwas?
Da ich mich so gut es geht von der AfD abgrenze und versuche, die räumliche Nähe zu meiden, ist es bisher noch nicht zu persönlichen Anfeindungen oder Ähnlichem gekommen. Die AfD ist aber nach wie vor der Wolf im Schafspelz. Zwar versucht sie, sich nach außen einen moderateren Anstrich zu geben, auf inhaltlicher Ebene passiert aber genau das Gegenteil. Die AfD ist seit ihrer Existenz immer radikaler geworden. Sie hat beispielsweise zu Beginn des Jahres gefordert, dass es an Schulen keinen Aufklärungsunterricht über Homosexualität, Bisexualität und Geschlechtsidentitäten mehr geben darf. Solch ein Vorgehen kennen wir aus Ungarn oder Russland. In beiden Ländern ging der Hass der Rechtsextremen auf queere Menschen erfolgreich Hand in Hand mit ihren antidemokratischen Bestrebungen. Diesen Bestrebungen müssen sich alle Demokrat*innen in Deutschland entschieden in den Weg stellen.