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Harter Wegner ganz weich: „In Thüringen hatte ich die schönsten Jahre meines Lebens“

Harter Wegner ganz weich: „In Thüringen hatte ich die schönsten Jahre meines Lebens“

Ulli Wegner Boxen Berlin Erfurt
Konzentriert aufs Sparring: Boxtrainer Ulli Wegner während der Vorbereitung in Berlin. Foto: Helke Floeckner
  • Teil 2 des großen Exklusiv-Interviews mit Boxtrainer Ulli Wegner
  • Wovon er noch träumt, wann er aufhören will
  • Warum Thüringen immer seine Heimat bleibt
  • Am Samstag kämpft er mit Arthur Abraham in Erfurt, Mittwoch wird er 75 Jahre alt
  • Bildergalerie: Blick hinter die Kulissen des Boxgyms in Berlin

Was wäre Ulli Wegner heute, wäre er nicht zum Boxen gekommen?
Die Situation hatte sich damals angeboten durch meinen Cheftrainer Hans Spazierer. Er hat in mir das gesehen, was ich dann später erreicht habe. Ja, was wäre sonst geworden? Das kann ich gar nicht so richtig beurteilen. Doch! Dann hätte ich ein Studium zum Fußballtrainer absolviert, hundertprozentig. Fußball ist meine zweite Leidenschaft. Obwohl … keiner hat mir gesagt, wie schwer der Trainerberuf ist.

Sie würden rückblickend trotzdem wieder Trainer werden?
Sicherlich. Ich kann nur betonen, dass es als Trainer sehr schwierig ist herauszukitzeln, dass die Sportler Leistungen bringen, um Weltmeister oder Olympiasieger zu werden. Das ist harte Arbeit. Eine, die aber auch unheimlich interessant ist. Sport ist eben im Leistungsbereich etwas Besonderes. Und wenn deine Sportler erfolgreich sind, bist du stolz darauf, was du so bewegt hast.

Sie haben eine Menge im Boxsport bewegt. Nachzulesen in Ihrem Buch „Ulli Wegner – Mein Leben in 13 Runden“. Das erschien jetzt – zur Leipziger Buchmesse vorgestellt – in einer Neuauflage mit einigen Ergänzungen.
Fünf Jahre nach der Erstauflage gibt es noch einiges zu erzählen. Da sind Etappen meines Lebens drin, die sehr emotional sind. Mir sind in den letzten zwei, drei Jahren vier Sportler abhanden gekommen. Durch Selbständigkeit, Verletzung, Unfall. Zwei waren Weltmeister, die anderen wären es sicherlich geworden. Wir haben das mit „Grand ohne Vieren“ überschrieben. Wer mich kennt und das liest, der wird das seelisch erfassen. Es geht einfach darum, wie ich meine Arbeit weitergemacht habe, mit welchen Rückschlägen ich fertig werden musste. Das war nicht einfach. Aber jetzt habe ich entwicklungsfähige Sportler dazubekommen. Die sind noch nicht so bekannt, haben aber unwahrscheinlich gute Veranlagungen. Da sind einige dabei, da kann ich fast garantieren, dass sie Weltmeister werden.

Von welchen Ihrer Schützlinge werden wir noch hören?
Von Arthur Abraham und Culcay, die ja schon Weltklasse sind, auch von Pulew. Dann kommen Leon Bunn und Albon Pervizaj, und zwei, drei, die bei fleißiger Arbeit das Format haben, ganz vorn zu landen. In erster Linie ist da Stefan Härtel, der heute schon über Spitzenformat verfügt. Dann haben wir noch Burak Sahin, Emir Ahmatovic und Michael Wallisch, die bei perspektivischer Entwicklung vorn mit anklopfen können. Die Anlagen sind vorhanden, die gute boxerische Grundausbildung. Noch fehlt das strategische Denken, um erfolgreich zu sein.

Am 26. April ist Ihr 75. Geburtstag. Was bedeutet Ihnen diese Zahl?
Es ist nicht die Normalität, dass man in diesem hohen Alter als Trainer im Spitzenbereich arbeitet. Für mich ist der Beruf immer noch eine Herausforderung. Ich glaube, aufgrund meines fachlichen Wissens kann ich den Jungs noch sehr viel geben. Natürlich kann ich nicht sagen, dass ich noch zehn Jahre Trainer bin. Erst muss ich sehen, wie sich die Situation im Boxsport entwickelt. Man muss sehen, dass es wieder nach vorn geht. Das Alter spielt allgemein bei Leistungssportlern nicht so die Rolle. Man sollte immer von der Leistungsfähigkeit ausgehen. Das ist beim Trainer genauso. Als Trainer bist du nicht auf Rosen gebettet, es ist ein harter Job.

Und nach wie vor eine Herausforderung?
Die Laufbahn, die ich eingeschlagen habe, war keine leichte. Meine Entwicklung als Trainer und als Persönlichkeit war schon ungewöhnlich. Ich habe mein Leben lang immer lernen müssen, um etwas zu erreichen. Schule, dann drei Jahre gelernt, zwei Jahre Vorbereitung für den Meisterlehrgang, Meisterstudium, Sportlehrerstudium, dreieinhalb Jahre Weiterbildung an der Sporthochschule Köln. Ich habe immer versucht, mich weiter zu formen, damit ich den Jungs etwas weitergeben kann. Es war mir immer wichtig, auch zu erklären, warum wir im Training jetzt diese Einheit absolvieren. Und ich habe heute noch nicht ausgelernt.

Ulli Wegner – die Amateurkarriere:

  • 176 Kämpfe, DBV-Mannschaftsmeister mit BSG Wismut Gera 1970, mehrfacher Bezirksmeister

Das Fazit zum 75.?
Lasse ich mit fast 75 Jahren mein Leben Revue passieren, muss ich sagen, ich bin ein zufriedener Mensch. Bei dem, was ich privat und sportlich erlebt habe, bin ich gut weggekommen. Stolpersteine gibt’s überall. Man muss sie bloß überwinden.

Wie sieht der perfekte Geburtstag für Sie aus?
Den 75. feiere ich in Sofia in Bulgarien. Den 70. hatten wir ja ausgiebig begangen, mit 560 Leuten. Wir feiern also in Sofia, sicher in angemessenem Rahmen, der 75. Geburtsag ist schon ein besonderer. Aber ich bin da nicht entscheidend. Aber im Vordergrund stehen erst einmal meine Sportler und die aktive Leitung.

Was wäre das perfekte Geburtstagsgeschenk?
Dass meine Frau und ich gesund bleiben.

„Ich kann nicht einfach meine Koffer packen und abhauen“

Denken Sie langsam ans Aufhören? Oder ans Kürzertreten?
Als Trainer kannst du nicht kürzertreten. Wenn man als Trainer kürzertritt, sollte man aufhören. Wenn man denkt, man braucht nichts mehr zu beweisen und kann sich auf seinen Erfolgen ausruhen, sollte man in Rente gehen. Die Jungs brauchen einen Trainer mit vollem Engagement. Nur so können sie ihre Ziele erreichen. Aufhören – das kann natürlich auch mal schnell gehen. Bei mir hängt das auch davon ab, wie sich Sauerland Event weiter entwickelt. Es gibt da Für und Wider. Aber ich glaube, dass alles wieder ins Lot kommt. Im Moment stehen sowieso meine Jungs an erster Stelle. Sie sind einfach tolle Jungs.

Haben Sie noch einen Box-Traum? Vielleicht den vom Schwergewichts-Weltmeister?
Als Trainer hast du immer Träume. Das mit dem Traum vom Schwergewichts-Weltmeister sagt man mir immer nach. Wenn es sich ergibt, ist es gut. Mein Ziel ist es, Boxer zu Spitzenleuten zu entwickeln. Und wenn dabei einer aus dem Schwergewicht Weltmeister wird, bin ich auch glücklich. Aber das steht nicht im Vordergrund. Egal, welche Gewichtsklasse, Hauptsache erfolgreich.

Hat sich Ihre Frau inzwischen damit abgefunden, dass Sie auch mit dem Boxen verheiratet sind?
Meine Frau hat mich in meiner Arbeit immer sehr unterstützt. Sie hat die ganzen letzten Jahre mitgemacht, aber auch nicht schlecht davon gelebt. Dass sie jetzt mit mir mehr Urlaub machen, mit mir um die Welt schippern möchte, kann ich verstehen. Aber die Herausforderung für mich sind im Moment meine Jungs. Wenn ich die nicht bekommen hätte, wäre schon lange Schluss. Ich möchte sie einfach unterstützen. Das ist eben so, ich kann nicht anders.

Sie kennt Sie ja auch nur so…
Der Trainerberuf bringt immer neue Dynamik in mein Leben, immer neue Anforderungen, auch neue Hürden. Aber das konnte ich meistern. Ich verstehe meine Frau natürlich. Wir bei Sauerland sind jetzt an einer Schwelle. Aber ich kann nicht die Koffer packen und abhauen. Es ist mein Antrieb, dass wir den Namen Sauerland im Welt-Boxsport erhalten können. Aber garantieren kann ich für nichts.

Ulli Wegner – seine Weltmeister:

  • Arthur Abraham, Markus Beyer, Cecilia Brækhus, Yoan Pablo Hernandez, Marco Huck, Sven Ottke

Aufwendiger Trainerjob und Familienleben – trotzdem bleibt Zeit, sich politisch einzubringen?
In Mecklenburg-Vorpommern habe ich bei einigen Bürgermeisterwahlen mitgewirkt. Auch Angela Merkel habe ich zur Wahl unterstützt, ihr einen Boxhandschuh geschenkt, damit sie sich durchkämpfen kann. In Reinickendorf war ich einige Zeit für Jugend und Sport zuständig. In Penkun bin ich Ehrenbürger. Sehr berührt haben mich meine Auszeichnungen. Das Bundesverdienstkreuz habe ich bekommen, auch die „Goldenen Hände“. Sehr emotional war für mich die Ehrenbürgerschaft in Gera. Davon habe ich immer heimlich geträumt, aber nie daran geglaubt. Ich war 14 Jahre hintereinander Boxtrainer des Jahres, war oft Trainer des Jahres in Berlin. Gerade dort, mit der großen Konkurrenz der anderen Sportarten, Fußball, Volleyball. Eishockey. Alle die Auszeichnungen… ein Traum. Das macht mich sehr glücklich, stolz.

Bildergalerie: Hinter den Kulissen im Berliner Boxgym

Was macht Sie wütend?
Da gibt es allerhand. Was mich unzufrieden macht, ist die Situation im Boxsport. Von veranlagten und talentierten Sportlern her ist sie sehr günstig. Natürlich haben wir im Moment keinen Ottke, Maske oder Michalczewski. Das Reservoir an begabten Jungs ist da, aber es liegt an der Führung. Da muss eine richtige Struktur rein, die entsprechende sportliche Führung, vor allem bei den Amateuren. Damit unsere vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Es gibt allerhand zu tun. Aber mit gewissenhafter Arbeit ist das zu schaffen.

Was bedeutet Heimat für Sie?
Eindeutig Deutschland. Im Ausland würde ich nie leben können. Zu Hause ist jetzt Berlin. Aber zu Hause ist auch Gera für mich. Und zwei Jahre lang Erfurt. Gera war meine Heimat, Leib und Seele für mich, 15 Jahre lang. Dort waren die schönsten Jahre meines Lebens. Auch die härtesten, von der Entwicklung her.

Ein Wort an die Thüringer Boxfans?
Thüringen ist so ein schönes Land, ich komme so gern wieder her! Über Erfurt und seine wunderschöne Altstadt muss man gar nichts sagen. In Erfurt habe ich unheimlich gern gelebt. Die Stadt hat tolle Boxfans, gerade in den 60er- und 70er-Jahren gab es hier echte Box-Kanonen – Hübner, Constantin, Schumacher, die Kulkas… Denen muss man aufgrund ihrer Leistungen ein großes Lob aussprechen. Ich freue mich riesig auf alle.

Der Kampf in Erfurt: