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Dokumentation: Die Vorwürfe im Thüringer Schweinezucht-Skandal

Dokumentation: Die Vorwürfe im Thüringer Schweinezucht-Skandal

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Die Tierschützer von Animal Rights Watch kritisieren die zu schmalen Kastenstände. Aufnahme von Animal Rights Watch aus dem November 2015. Foto: Animal Rights Watch

Verstößt die Schweinezucht der Gut Thiemendorf GmbH in Heideland gegen den Tierschutz? Thüringen24 hat das Schreiben von Gut Thiemendorf dokumentiert und auch die Tierschützer von Animal Rights Watch um eine Stellungnahme gebeten. Für den Schweinezuchtbetrieb antwortete der Berliner Rechtsanwalt Dr. Konstantin Bertram, für Animal Rights Watch (ARIWA) Pressesprecherin Sandra Franz – beide schriftlich. Das Foto- und Filmmaterial stammt aus dem November 2015.

Punkt 1: Kein frisches Trinkwasser

Gut Thiemendorf: Alle Tiere haben rund um die Uhr Zugang zu frischem Wasser. Um dies sicherzustellen und um Verunreinigungen des Wassers zu vermeiden, setzt unsere Mandantin über den Trögen befindliche sogenannte Trogfluter ein, die automatisch für einen konstanten Nachfluss von Frischwasser sorgen.



ARIWA: In der Tierschutznutztierhaltungsverordnung §26 (1), Satz 2 ist es eindeutig geregelt: „…jedes Schwein jederzeit Zugang zu Wasser in ausreichender Menge und Qualität hat…“ Das Wasser, das in den Trögen aller Sauen in den Kastenständen vorgefunden wurde, sah nicht wie Wasser in geeigneter Qualität aus, sondern wie Dreckwasser (siehe Videomaterial).


Anmerkung der Redaktion: Auf telefonische TH24-Nachfrage sagt Rechtsanwalt Bertram zur sichtbaren Verschmutzung im Video: „Das kann durch Verschleppung passieren. Schweine sind nunmal nicht die reinlichsten Tiere.“

Youtube-Video von Animal Rights Watch

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Punkt 2: Einige Hallen sind nachts taghell erleuchtet

Gut Thiemendorf: Auch diese Aussage trifft nicht zu. Es gibt für unsere Mandantin überhaupt keinen Grund, Hallen nachts derart beleuchten zu lassen, wenn dort nicht gearbeitet wird.

ARIWA: Dass in einigen Hallen nachts das Licht angelassen wird, wird im Grunde regelmäßig bei Recherchen vorgefunden. Wahrscheinlich wird einfach vergessen, es auszumachen. Da ist Gut Thiemendorf keine Ausnahme. Beweisen können das die AktivistInnen im Nachhinein natürlich nicht mehr. ARIWA verbürgt sich aber dafür, dass bei Recherchen nichts verändert wird, sondern nur die vorgefunden Zustände dokumentiert werden.

Anmerkung der Redaktion: Auf telefonische TH24-Nachfrage kann sich Rechtsanwalt Bertram die erleuchtete Halle nur durch möglicherweise damals stattgefundene Umbauarbeiten erklären.

Punkt 3: Kranke Ferkel werden dem Tod überlassen

Gut Thiemendorf: Zudem wird die Behauptung aufgestellt, kranke Ferkel würden in fliegenverseuchten Hallen in großer Zahl einem langsamen, qualvollen Tod überlassen oder es werde einfach abgewartet, welches der Ferkel überlebe, damit es weiterverkauft werden kann. Auch diese absurde Feststellung, die der Animal Rights Watch e. V. bei seinem Einbruch mitten in der Nacht (!) gemacht haben will, weist unsere Mandantin entschieden zurück. Im Betrieb unserer Mandantin werden verletzte oder geschwächte Ferkel, die einer besonders intensiven Betreuung bedürfen, in kleinen Gruppen untergebracht. Die dafür verwendeten Buchten sind mit 29° Celsius sehr gut beheizt. An die Tiere wird eigens vorgewärmtes, besonders hochwertiges Futter mit einem hohen Milchanteil verfüttert. Die Tiere werden täglich (auch am Wochenende) von einem Tierarzt betreut.

ARIWA: Wir haben nie behauptet, der abgetrennte Bereich wäre nicht ausreichend erwärmt oder die Tiere würden kein spezielles Futter erhalten. Jedoch hat dieser Ferkelbereich nichts mit der vorgeschriebenen Krankenbucht zu tun. Dass die Tiere scheinbar nicht ausreichend tierärztlich versorgt werden, zeigen Aufnahmen mit versteckter Kamera, auf denen zu sehen ist, dass sich die Tiere gegenseitig tagsüber anfressen (siehe Video). Es handelt sich nicht um Einbrüche, sondern höchstens um Hausfriedensbruch (was auch noch juristisch zu klären ist), da keine Tür aufgebrochen wird und nichts beschädigt oder verändert wird. Es gibt bereits Gerichtsurteile, die bestätigen, dass das öffentliche Interesse gegenüber Geheimhaltungsinteressen der Betreiber überwiegt

Punkt 4: Verletzte Tiere liegen herum

Gut Thiemendorf: Ferner heißt es, dass Tiere mit unbehandelten Wunden überall im Stall herumliegen würden. Auch dies ist unwahr. Wie bereits beschrieben, ist täglich ein Tierarzt zugegen, der etwaige Wunden kontrolliert und die tiermedizinisch erforderlichen Maßnahmen trifft.

ARIWA: Bei der Recherche wurden zahlreiche Sauen mit Wunden auf Grund der Haltung in Kastenständen und Selbstfangbuchten vorgefunden. Das dies systematisch vorkommt, ist auf dem Video- und Fotomaterial gut dokumentiert und kann nicht wegdiskutiert werden.

Punkt 5: Es stapeln sich tote Tiere

Gut Thiemendorf: Auch wird behauptet, auf dem Hof stapelten sich tote Tiere. Diese Behauptung ist ebenfalls unwahr. Tierkadaver werden bis zur Abholung durch ein Spezialunternehmen, die zweimal wöchentlich erfolgt, in eine dafür bereitstehende große Kadavertonne gebracht. Dies ist aus Gründen des Seuchenschutzes geboten. In keinem Fall werden Kadaver einfach „auf dem Hof gestapelt“.

ARIWA: Wir haben nie behauptet, auf dem Hof würden sich tote Tiere stapeln und das wurde bei der Recherche auch nicht gesehen. Es wurde lediglich Fotomaterial aus der Kadavertonne veröffentlicht, was verdeutlicht, wie viele Tiere die Torturen der Bedingungen nicht überleben.

Punkt 6: Zu schmale Kastenstände

Gut Thiemendorf: Hinsichtlich der in den Berichten angesprochenen Beschaffenheit der Kastenstände gibt es bundesweit oder in Thüringen keine exakten durch Gesetz oder Rechtsverordnung vorgegebenen Maße. Die Ställe unserer Mandantin wurden 2011 neu ausgebaut und von den Behörden als regelkonform abgenommen. Unsere Mandantin ist bestrebt, alle ihr möglichen Maßnahmen zur weiteren Optimierung der Haltebedingungen ihrer Tiere umzusetzen. Sie bemüht sich deshalb intensiv um die Klärung der konkreten baulichen Anforderungen gegenüber dem zuständigen Veterinäramt, um eine Gefährdung der Tiergesundheit durch falsch bemessene Kastenstände auszuschließen.

ARIWA: Die Breite von Kastenständen ist eindeutig bundesweit geregelt. In der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung § 24 (4) steht: „(4) Kastenstände müssen so beschaffen sein, dass 1. die Schweine sich nicht verletzen können und 2. jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen sowie den Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann.“ Im November 2015 entschied das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in einem Grundsatzurteil (3 L 386/14), dass die Breite eines Kastenstandes nur dann ausreichend ist, wenn sie mindestens der Höhe (Stockmaß) des Tieres entspricht. Dieses Urteil bestätigt, dass die derzeit gängige Praxis, Kastenstände mit einer Breite von 70 cm oder weniger zu verwenden, gegen geltendes Recht verstößt. Die Kastenstände in Gut Thiemendorf waren systematisch aber nicht mal 70 cm, sondern nur 60 cm breit.

Anmerkung der Redaktion: Das Thüringer Sozialministerium teilte mit: „Als Mindestmaße gelten bundesweit Kastenstandweiten von 65 cm für kleinere Sauen und Jungsauen sowie 70 cm für ältere Sauen. Diese Maße sind Richtmaße. Im Einzelfall muss der Kastenstand der Größe der Sauen entsprechen.“
Auf telefonische TH24-Nachfrage sieht Rechtsanwalt Bertram den Missstand in der aus seiner Sicht fehlenden exakten Vorschrift. Zu den ARIWA-Bildern sagt Bertram: „Einzelfälle sind nie auszuschließen, da gibt es aber Auslegungsspielraum.“

Punkt 7: Selektive Wahrnehmung

Gut Thiemendorf: Zu den veröffentlichten Bildern ist festzustellen, dass offenbar gezielt Tiere in speziellen Krankenbuchten aufgenommen und mitten in der Nacht mit hellem Kameralicht und Taschenlampen direkt angeleuchtet wurden. Aus dem Aussehen dieser geschwächten und mit hellem Licht aus dem Schlaf gerissenen Tiere Rückschlüsse auf den Zustand des gesamten Tierbestands im Betrieb unserer Mandantin zu ziehen, ist in höchstem Maße unseriös. Dies zumal dann, wenn die verwendeten Aufnahmen zum Teil mehrere Jahre alt sind.

ARIWA: Das gesamte Material kann der Presse gern in voller Länge zur Verfügung gestellt werden. Es wurde in der gesamten Anlage gefilmt, unter anderem Sauen in Kastenständen, Abferkelboxen und Gruppenhaltungen. Dies hat nichts mit Krankenbuchten zu tun (oder möchten die Vertreter der Gut Thiemendorf GmbH behaupten, dass illegalerweise kranke Tiere in Kastenständen gehalten werden?). Wie es tatsächlich in den Krankenabteilen in Gut Thiemendorf aussieht, zeigen diese beiden Fotos:

Bildergalerie: Tierschützer dokumentieren Zustände im Gut Thiemendorf im November 2015