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Sechs Männer in einem Raum – Wohnen hinter Gefängnismauern

Sechs Männer in einem Raum – Wohnen hinter Gefängnismauern

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Im Gefängnis in Hohenleuben südlich von Gera sind aktuell knapp 280 Gefangene untergebracht. Foto: dpa

Hier wohnt niemand freiwillig: Umgeben von Mauern und Stacheldraht leben fast 280 Männer im abgewirtschafteten Hafthaus des Ostthüringer Gefängnisses Hohenleuben. Bis zu sechs Insassen teilen sich eine Zelle.

Schaut Falk Glaß aus seinem Fenster, blickt er auf eine etwa vier Meter hohe Betonmauer mit Stacheldraht. Die Häuser dahinter sind für den 38-Jährigen im Moment so unerreichbar wie der Mond. Das Fenster ist von außen mit einem Gitter versperrt – Glaß ist Häftling im Gefängnis Hohenleuben in Ostthüringen. Mit fünf weiteren Kriminellen teilt er sich „eine Bude“, wie er sagt, in dem 1981 fertiggestellten Plattenbau. Mehr als 61 700 Männer, Frauen und Jugendliche saßen nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes zuletzt wie Glaß hinter Gittern (Stichtag: 30. November 2015).

Die Zelle – „Unsere Bude“

Glaß‘ Zelle hat die Nummer 225. Sechs Männer teilen sich hier etwa 40 Quadratmeter. Ausgestattet ist der Raum mit einfachen Betten, in der Mitte steht ein Tisch mit Stühlen, an der Wand ein Fernseher. Ihr weniges Hab und Gut haben die Bewohner in kleinen Schränken und Regalen verstaut. An diesem heißen Sommertag haben sie Laken zwischen das Fenstergitter gestopft. „Eigentlich müssen die Gitter frei bleiben“, erklärt Vize-Gefängnisleiter Andreas Budan. „Aber wir drücken ein Auge zu, damit sich die Zellen nicht so sehr aufheizen.“

Die Toilette als Rückzugsort

Privatsphäre ist in dem Raum Fehlanzeige. „Keiner ist es von draußen gewohnt, so lange mit fünf Leuten in einem Raum zu leben“, bekennt Glaß. „Da muss man sich arrangieren.“ Etwa wenn es darum geht, welche Sendung im Fernsehen geschaut wird. „Da gibt es schon mal sechs verschiedene Meinungen.“ Einigen könne er sich mit seinen Mitbewohnern meist auf Dokumentationen. „Wer mal für sich sein will, kann sich ins Bad setzen“, schildert der 38-Jährige. Er öffnet eine mit Pin-Up-Girls verzierte Metalltür. Dahinter ist ein schmaler Raum mit drei Waschbecken, einem Tisch mit mehreren Aschenbechern und der Toilette, die durch einen Vorhang etwas Rückzugsraum verspricht.

Gemeinschaftszellen sind selten

Im ostthüringischen Hohenleuben südlich von Gera sind aktuell knapp 280 Gefangene untergebracht, wie Budan erklärt – Männer aus Thüringen und Sachsen, die erstmals eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verbüßen. Die Geschichte des Gefängnisses reicht bis in die Kaiserzeit Ende des 19. Jahrhunderts zurück. In einigen Jahren soll es von einem Neubau im sächsischen Zwickau ersetzt werden. Bundesweit gibt es laut Statistischem Bundesamt 183 Gefängnisse mit fast 74 000 Plätzen. Anders als hier in Ostthüringen dominiert generell aber die Unterbringung in Einzelzellen mit einem Anteil von 74 Prozent.

Glaß wohnt schon zweieinhalb Jahre unfreiwillig hinter Gittern, davon zwei Jahre in Hohenleuben. Er sei mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten und schließlich wegen Diebstahls und Körperverletzung zu insgesamt vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden, berichtet er. An einem Kalender an der Wand hakt er seine Tage in Haft ab – „immer wochenweise“, sagt der gelernte Schornsteinfeger. „Da hat man das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht.“ Besuch bekomme er nur selten, könne aber mit seinen Eltern telefonieren.

Strukturierter Gefängnisalltag

Der Alltag im Knast ist genau durchorganisiert. Zudem müssen Glaß und seine Zellengenossen jederzeit mit unangekündigten Kontrollen ihres Zimmers auf Drogen, Alkohol und Handys rechnen. Um 6.00 Uhr werde er geweckt, erzählt Glaß – er spricht von der „Lebenskontrolle“. Nach Waschen und Frühstück geht er um 7.00 Uhr zur Arbeit in die Wäscherei. Dabei verdient er 1,50 Euro die Stunde – Geld für das er sich im Kiosk Tabak und Schokolade kaufen oder für das Leben in Freiheit sparen kann. „Arbeit ist wichtig, sonst vergeht die Zeit nicht.“ Nachmittags gebe es dann die Möglichkeit zum Hofgang und später Aufschluss – Gelegenheit mit anderen Häftlingen auf der Etage zu spielen, kochen, sprechen. Ab 21.30 Uhr ist Nachtruhe.

Sehnsucht nach Freiheit

Inzwischen rückt für Glaß das Ende der Haft näher – im kommenden Frühjahr hat er zwei Drittel seiner Strafe verbüßt. Jüngst hat er „Lockerung“ bekommen. Das heißt, er genießt längeren Aufschluss und darf wohl bald in Begleitung das erste Mal auf die andere Seite der Gefängnismauer. Er hoffe, dass ihn eine Freundin, die ihn ab und an besuche, begleiten werde, sagt er. Ihr Foto hat Glaß an seinen aus einem kaputten Regal improvisierten Nachttisch geheftet. Was er als Erstes in Freiheit tun wird? „Als allererstes will ich barfuß über eine Wiese laufen – und einen Döner essen.“