Veröffentlicht inThüringen

Feministin, Mutter, Prostituierte – Eine Sexarbeiterin packt aus

Feministin, Mutter, Prostituierte – Eine Sexarbeiterin packt aus

emy fem.jpg
Foto: Anna Jank

Emy Fem ist Prostituierte, besser gesagt: Sexarbeiterin. Sie hat in Clubs und Bars gearbeitet, als Highclass Escort und gerade nimmt sie als Domina das Zepter in die Hand. Aber nicht nur beruflich ist sie ihre eigene Herrin. Sie ist zweifache Mutter und eine international gefragte Aktivistin. Sexarbeit ist Feminismus pur, so ihre Devise. Im Rahmen des Frauen(kampf)tages luden die Veranstalter Emy Fem nach Erfurt zu einem interaktiven Workshop. Wir sprachen mit der Berlinerin über ihre Arbeit, das Stigma der Prostitution und ihre politischen Kämpfe.

Du bist Feministin und Sexarbeiterin? Wie passt das zusammen?

Das passt hervorragend. Ich bin diejenige, die bestimmt, was ich mit meiner Sexualität mache. Es ist eine feministische Handlung. Das heißt: Ich lege fest, was ich zu welchen Bedingungen, in welcher Dauer, für welchen Preis anbiete. Was gibt es Feministischeres?

Wie viel Raum nimmt das Thema Sexarbeit als Dienstleisterin und internationale Aktivistin in deinem Leben ein?

Das ist mein Full-Time-Job. Ich muss mich sehr stark begrenzen, weil es unglaublich viel Handlungsbedarf gibt.

Wie bezeichnest du deinen Beruf und wie möchtest du angesprochen werden?

Ich benutze eigentlich das Wort „Sexarbeit“. Als Prostituierte finde ich es okay, mich selber so zu bezeichnen, finde es aber schwierig, wenn mich Personen so nennen, die nicht der Sexarbeit nachgehen. Es ist quasi eine Selbstbezeichnung, weil es ja auch ein Begriff ist, der sehr stark unter einem Stigma zu leiden hat und etwas Verbotenes, etwas Dreckiges beinhaltet. „Sexarbeit“ ist ein klarer Ausdruck. Es ist eine Arbeit, es geht um sexuelle und erotische Dienstleistungen. „Prostituierte“ und „Hure“ bergen für mich nochmal andere Dimensionen.

Wie bist du denn überhaupt zur Sexarbeit gekommen? Wann hast du angefangen?

Ich habe Geld gebraucht. Schlicht und ergreifend. Ich kam mit meinem Budget nicht klar und brauchte eine sichere Perspektive, Geld zu verdienen. Viele meiner Freunde haben selber angeschafft und irgendwann habe ich gefragt, wie das geht. Dann habe ich halt angefangen. Wann? Das bleibt mein Geheimnis. Aber ich arbeite schon lange.

Gibt es eine Ausbildung zur Sexarbeiterin?

Leider nicht direkt, unter der Hand aber schon. Früher gab es in Deutschland das Prinzip „Alt-Hure“ hilft „Neu-Hure“. Das heißt, wenn du angefangen hast anzuschaffen, hat dich eine ältere Hure an die Hand genommen – damals war der Begriff Hure noch weiter verbreitet – und hat dich in die Besonderheiten der Sexarbeit eingeführt. Ich mache das tatsächlich häufig mit Leuten, die einsteigen wollen. Das hat mir auch gutgetan, als ich angefangen habe.

Was hat dir am besten gefallen? Was so gar nicht?

Ich habe angefangen, in einer Nachtbar zu arbeiten, das hat mir gut gefallen. Gerade fange ich an, als klassische Domina zu arbeiten. Das ist ein Umgang mit meinen Kunden, den ich sehr wertschätze. Das gefällt mir richtig gut. Ich habe lange als Escort gearbeitet, da stelle ich mich jetzt ein bisschen um. Nicht weil es scheiße ist, ich habe da nichts Schlimmes erlebt. Ich merke einfach, es läuft aus. Ich verändere mich, meine Sexualität verändert sich. Das ist gerade nicht mehr 100 Prozent das Ding, das mir zusagt.

Was war das Coolste, das du als Sexarbeiterin erleben durftest?

Einmal wurde ich als Escort engagiert. Ich begleitete einen Kunden zu einer Burlesque-Show. Es war schön, einfach neben einem Kunden zu sitzen, der von mir gar keinen Sex haben wollte. Er genoss es einfach, dass ich neben ihm saß, mir die Show gefiel und wir teuren Wein tranken. Obendrein war es gut bezahlt.

Wie anders ist Sex in einer Beziehung?

In dem Moment, indem ich das Geld in der Hand habe, ist das eine reine Perfomance-Arbeit, die ich leiste. Das hat nichts mit meiner privaten Sexualität zu tun. Beim BDSM überlappt es sich teilweise, weil ich auch privat BDSM-begeistert bin. Da wende ich schon mal dieselben Praktiken beruflich wie auch privat an. Aber auch da ist es immer noch eine ganz andere Beziehung. Es läuft tatsächlich anders ab.

Wie macht man das dem Partner klar?

Das ist nicht meine Aufgabe, dort Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist die Sache meines Partners, sich da zu schulen und sich auszutauschen. Nur, weil ich Sexarbeiterin bin, bin ich nicht zuständig für die Probleme anderer Leute. Auch nicht für die meiner Partner.

Wie reagiert dein Umfeld auf deine Arbeit?

Manche haben geschluckt, für die anderen war es okay. Ich bin eine der wenigen Sexarbeiterinnen, die sich komplett geoutet haben. Es ist überall bekannt, dass ich der Sexarbeit nachgehe. Das ist Teil meines Feminismus. Ich spreche darüber offen mit meinen Freundinnen, Geliebten, Kindern. Ich bin zweifache Mutter.

Deine Kinder werden damit konfrontiert?

Sie outen sich teilweise nicht. Weil klar ist, welche Reaktionen kommen. Überall dort, wo das Wort „Hurensohn“ als Schimpfwort benutzt werden kann, wird es schwierig. Ein schlechtes Gewissen habe ich dennoch nicht.

Wer trägt das größere Stigma, der Kunde oder die Dienstleisterin?

Das hängt davon ab, auf welches Land wir schauen. In Deutschland denke ich: bei den Sexarbeiterinnen. Es ist aber auch verwerflich, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Generell kann man sagen: Je mehr Reglementierung es gegen Kunden und gegen Sexarbeit gibt, umso höher ist das Stigma und umso höher ist die Gewalt, die wir zu erfahren haben.

In eurem Gewerbe werdet ihr häufig mit der Polizei konfrontiert. Erfahrt ihr dort auch Diskriminierung?

Selbstverständlich ja. Sexarbeiterinnen werden von polizeilicher Seite diskriminiert. Es ist nicht die beste Connection, die wir haben. Sexarbeit ist immerhin das Gewerbe mit den meisten Razzien in Deutschland. Da hat man natürlich nicht die beste Beziehung zur Polizei, wenn ständig die Angst besteht, dass Polizisten in deinen Arbeitsbereich kommen und deine Kunden verdrängen und intime Grenzen überschreiten. Das wirkt auf einen.

Wie nimmt der Freier die Sexarbeiterin wahr?

Wir werden sehr wertgeschätzt. Viele sind auch extrem dankbar. Der Markt ist riesig, der Kunde sucht sich die Sexarbeiterinnen per Kriterien-Katalog aus und immerhin fällt seine Wahl auf mich. Ich bin genau diejenige, die seinen Vorstellungen entspricht. Und wenn er mir 100 bis 200 Euro in die Hand drückt, um eine Stunde lang was mit mir zu haben, dann kriegt er auch etwas geboten.

Wie wird in der Szene auf Safer-Sex geachtet?

Unser Körper ist unser Kapital. Unsere Gesundheit ist unser Kapital. Gesundbleiben ist ein wichtiger Punkt. Ich gehe bei jedem Kunden erst mal davon aus, dass er HIV-positiv ist. Das ist natürlich nicht der Fall, aber wenn ich Sex mit ihnen habe, gehe ich einfach davon aus, dass da sexuell übertragbare Krankheiten sind und schütze mich entsprechend. Natürlich gehe ich alle drei Monate zum Test. Ich will natürlich gesund bleiben. Daran habe ich ein persönliches Interesse.

Wie beurteilst du die politische Situation für Sexarbeiterinnen in Deutschland?

In Deutschland haben wir ein riesiges Problem: das Prostitutionsschutzgesetz. Das ist schon beschlossen und tritt im Juli 2017 in Kraft und soll bis Dezember 2017 komplett umgesetzt sein. Dieses Gesetz ist in keiner Form auch nur annähernd akzeptabel. Es wurde beschlossen, ohne dass Sexarbeiter dabei Gehör bekamen. Es beeinträchtigt uns grundlegend.

In welcher Form?

Heute haben Sexarbeiterinnen ja schon Probleme, eine Wohnung zu finden oder eine Arbeit jenseits der Sexarbeit. Eine gewisse Form der Anonymität muss gewahrt werden. Diese Anonymität wird mit dem neuen Gesetz auf hoher Ebene angegriffen. Es wird einen Hurenausweis geben mit Foto und Namen. Sexarbeiterinnen müssen sich registrieren. Betreiberinnen von den Arbeitsplätzen wie Bordellen, Bars und Clubs sind verpflichtet, diese Daten zu sammeln. Überall liegen diese Daten herum. Anonymität als Sexarbeiterin ist eigentlich ein Menschenrecht, das aufgrund des Stigmas so nicht mehr gewahrt wird. Zum anderen gibt es eine sehr starke Reglementierung im Prostitutionsschutzgesetz. Der Standard ist so hoch gesetzt, dass kleine Bordelle und ganz besonders Arbeitswohnungen nicht mehr legal betrieben werden können. Es gibt Regelungen, dass man zwei getrennte Toiletten haben muss, was die meisten Wohnungen nicht haben. Sprich: Wir dürfen Sex mit den Kunden haben, aber nicht die gleiche Klobrille benutzen. Das zeigt, dass es sich um eine reine Repression handelt und nicht um eine sinnvolle Gesetzgebung.

Und wie setzt du dich gegen solche Politik ein?

Zum Beispiel biete ich unterschiedliche Workshops an. Im Rahmen des Frauenkampftages habe ich einen Workshop gegeben, der einen starken Inputcharakter hat. Dort trage ich ein Grundmanifest zum Thema Sexarbeit vor und grenze mich vom Menschenhandel ab. Ich mache klar, dass es sich um freiwillig gewählte Arbeit handelt. Danach berichte ich von den einzelnen Arbeitsbereichen. Ich beleuchte Vor- und Nachteile von der Arbeit auf der Straße, im Bordell, im Club, in der Bar, als Domina, Escort und auch als Highclass-Escort. Ich möchte mit diesen Vorträgen und Workshops das Stigma der Sexarbeit senken oder abbauen und Verständnis für die Situation von Sexarbeiterinnen schaffen.

Am Mittwoch erklärte ein Bündnis den Weltfrauentag kurzum zum Frauenkampftag. In drei Thüringer Städten gingen Menschen auf die Straße, um für Rechte der Frauen einzutreten. Warum findest du solche Aktionen wichtig?

Ich finde, dass verschiedene feministische Kämpfe zusammengeführt werden müssen. Die Basis eines feministischen Kampfes ist dabei auch immer eine realistische Aufklärung aus der Betroffenenperspektive. Das heißt, in dem Moment, in dem über Sexarbeit gesprochen wird, ist es wichtig, dass die Stimmen von Sexarbeiterinnen gehört und die Möglichkeiten geschaffen werden, sich sichtbar zu machen.

Was würdest du gerne deinen Liebsten und deinem Umfeld mitteilen?

Für mich ist es wichtig, dass ich mit meinem Beruf als Sexarbeiterin akzeptiert werde. Ich habe meine ganz eigenen Rituale, um mit meiner Stigmatisierung umzugehen. Die möchte ich respektiert wissen. Sexarbeit ist ein Stigma und dieses Stigma versuche ich abzubauen. Aber es existiert. Und das habe auch ich verinnerlicht. Ich lese überall davon, gerade ich als internationale Aktivistin. Ich habe auch mit Übergriffen in anderen Ländern, sogar Morden zu tun. Das muss ich auch erst einmal verarbeiten. Und privat erwarte ich, dass mein Gegenüber anerkennt, wenn ich meine Ruhe haben möchte. Und auch, wenn ich gerade keine Lust auf Sex habe.