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„Wir sind froh, dass der Wolf gekommen ist!“ Experte haut nach illegaler Tötung in Thüringen auf den Tisch

Nach einer illegalen Wolfstötung in Thüringen wirft ein Experte ein überraschendes Licht auf die Raubtiere im Freistaat.

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© IMAGO / imagebroker

Diese Raubtiere leben in deutschen Wäldern

Raubtiere gibt es nicht nur in den tiefen Wäldern Nordamerikas oder Kanadas. Auch in Deutschland leben Tiere, die zu Raubtieren gezählt werden.

Die Geschichte vom bösen Wolf – bei uns in Thüringen ist sie mal wieder in aller Munde. Grund ist eine Untersuchung, die Mitte Juli ein völlig neues Bild auf einen Wolfstotfund im Freistaat geworfen hat. Ein Tier, das 2023 an einer Straße im Wartburgkreis entdeckt wurde, ist nicht überfahren worden. Es wurde erschossen.

Bei Tierschützern und Naturverbänden löste die Erkenntnis Entsetzen aus. Der NABU Thüringen fordert jetzt unter anderem Konsequenzen – und setzt sich für eine Stabstelle zur Bekämpfung von Umweltstraftaten ein. Im Thüringen24-Gespräch erklärt Wolfsexperte Silvester Tamás mehr zu den Hintergründen – und findet deutliche Worte.

Thüringen: Experte wird nach Wolfs-Tötung deutlich

Herr Tamás, sie sind seit vielen Jahren Wolf- und Luchsexperte beim NABU Thüringen. Die Rückansiedlung des Wolfes galt in Deutschland jahrelang als Vorzeigeprojekt für gelebten Tierschutz – ist das immer noch so?

Das Thema Wolf ist ja sozusagen so ein Leitthema bei uns – weil wir uns damit sozusagen auseinandersetzen, worum es eigentlich zukünftig auch geht. Es geht zukünftig um Ressourcen, es geht um die Fragen, was ist uns Natur wert und was ist uns eine intakte Umwelt wert. Der Wolf steht hier eigentlich sehr verkürzt an der Spitze dieser Diskussion.

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Wir sehen das ja auch in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, das betrifft nicht nur Thüringen, das betrifft Deutschland, Europa. Das geht sogar bis in die USA, weil ich da die Debatten jahrelang verfolgt habe und man den Wolf dort sehr zurückgedrängt hat aus Gründen jagdlicher Interessen und Landnutzer Interessen.

Aber ist die Rückansiedlung der Wölfe in Deutschland nach wie vor ein Erfolg?

Viele haben das ja als exotisch angesehen. Man muss aber dazu sagen, dass das ein Erfolg ist, der auf Grundlage der Bemühung Europas, europäischer Grundsatznormen, Politiker, Regierungen, vieler Ehrenamtlicher, tausender Wissenschaftler, die in dem Bereich tätig sind – und ganz viel Naturfreunde, wie sie und ich, also die Menschen insgesamt sozusagen auch zu verantworten haben.

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Das heißt, der Wolf ist im Prinzip mit der zahlenmäßigen Anwesenheit jetzt in Deutschland mit seiner Verbreitung, das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühung von ganz viel Menschen. Das muss man mal klar sagen, es ist praktisch nicht nur ein Kuscheltier vom NABU oder so, ne?

Jetzt sind wir an einem Punkt – zumindest deutschlandweit – wo wir ganz viele Wölfe haben…

… mehrheitlich in Ostdeutschland, ja, in Norddeutschland, in Thüringen sickert das so langsam rüber. Die Demarkationslinie scheint die Elbe zu sein. Und jetzt stagniert es ein Stück weit auch in Thüringen. Wir haben nicht viele Wölfe in Thüringen. So um die 20 Stück. In Neuhaus am Rennweg, in Floh-Seligenthal ist jetzt ein Paar aus Tschechien eingetroffen, das sich dort niedergelassen hat. In Ohrdruf haben wir das Rudel mit der Anwesenheit der acht Wölfe.

Jetzt sind wir in einer Situation, wo die Diskussion Fahrt aufnimmt. Sie war immer schon da. Sie wurde immer schon, wenn es um die Ablehnung der Wölfe geht, forciert, ideologisiert, das muss man klar benennen, und vor allem von Kräften, die tatsächlich eigentlich auch Naturfreunde sein müssten, Bauern und Jäger – also nicht von allen – soweit vorangebracht, dass man den Wolf loswerden wollte.

Hat die Forderung denn eine Berechtigung?

Jagdlich hat das seine Berechtigung wahrscheinlich eher im Konkurrenzdenken. Bei den Bauern war das eher unbequem wegen dem Weidetierschutz. Wir haben für diesen Weidetierschutz gute Lösung erarbeitet – gemeinsam mit den Schäfern übrigens – mit vielen Interessenverbänden. Wir haben den Managementplan Wolf. Wir haben die Förderrichtlinie Wolf-Luchs in Thüringen. Da gibt’s eine hundertprozentige Förderung für alles für die Betriebsschäfer, Erwerbschäfer. Das Hundefutter wird sogar bezahlt und die Arztkosten für die Herdenschutzhunde, also da ist praktisch eine Aufmerksamkeit entstanden für diesen Berufszweig, den die Bauernverbände für ihre Mitglieder, die Schäfer vergessen hatten.

Das haben wir geschafft durch den Wolf. So viele Schäfer sagen uns, wir sind froh, dass der Wolf gekommen ist, weil erst dadurch haben sie die Aufmerksamkeit bekommen. Wir werden sonst sozusagen am langen Arm verhungert.

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Nach einer illegalen Wolfstötung in Thüringen wird ein Experte deutlich. (Symbolbild) Foto: IMAGO / imagebroker

Aber dennoch wird immer wieder von Rissen berichtet…

Es gibt Risse, aber diese Risse finden bei den privaten Kleintierhaltern statt, wo diese Arbeit, die wir uns gemacht haben über Jahre, noch nicht angekommen ist. Und wir sehen das, wenn wir in die Rissstatistiken gucken, dass es extrem geringe Zahlen sind. Also wir reden hier von 50 Tieren im Jahr, ne? Das ist wenig, wenn man sieht, was in der industriellen – oder überhaupt in der Nutztierhaltung – sonst verloren geht. Das sind 50- bis 60.000 Tiere, durch Krankheiten, Vernachlässigung, Todgeburten oder anderen Sachen. Das sind Tiere, die sterben da einfach.

Wir haben es identifiziert, wenn es um die Deutschlandweiten drei bis 5.000 Risse geht, können wir 80 Prozent mindestens vermeiden, 90 % vielleicht sogar oder manchmal auch 100 %. Das heißt, wir wissen, worum es geht und welche Stellen Schrauben wir betätigen müssen oder drehen müssen, damit das funktioniert.


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Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz vor nichts. Aber normalweise reicht der Grundschutz, um Wölfe vor dem Übergriff auf Weidentiere abzuhalten.