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Lustvoll auch nach der Diagnose: So berät die Aids-Hilfe Weimar

Lustvoll auch nach der Diagnose: So berät die Aids-Hilfe Weimar

aidshilfe edgar kitter
Foto: Ann-Sophie Bohm-Eisenbrandt

Fast 600 Menschen mit HIV leben in Thüringen, jedes Jahr infizieren sich Dutzende neu. Wie ist das Leben mit Aids? Wie schütze ich mich richtig? Bei solchen Fragen hilft die Aids-Hilfe in Weimar und Ostthüringen.

Die Aids-Hilfe in Weimar liegt recht versteckt, nur ein kleines Schild am Haus in der Erfurter Straße 17 weist auf die Geschäftsstelle hin. Drinnen fühlt man sich sofort wohl. Ein wohnliches, gemütliches Ambiente mit viel Holz und bunten Farben. Der Gruppenraum ist voll gepackt mit Infos, und wirkt doch eher einladend als überfüllt. Mittendrin Edgar Kitter. Der Ruhe und Besonnenheit ausstrahlende Projektleiter ist die gute Seele des Hauses, ohne ihn läuft hier nichts. Doch auch die anderen Mitarbeiten und vielen ehrenamtlichen Helfer leisten wertvolle Arbeit.

Schwule sind am häufigsten betroffen

Die Aidshilfe Weimar und Ostthüringen ist mit ihren Beratungsstellen in Weimar und Jena die Anlaufstelle für alle Fragen rund um HIV, Aids und andere sexuell übertragbare Krankheiten, und das nicht nur für Betroffene. „Unsere Arbeit gliedert sich in drei Säulen“, erklärt Kitter. „Zum einen betreiben wir Präventionsarbeit, indem wir die Öffentlichkeit, Jugendliche und Menschen mit besonderem Infektionsrisiko über entsprechende Schutzmöglichkeiten aufklären.“ Ein besonderes Risiko haben vor allem Schwule oder andere Männer, die Sex mit Männern haben. Etwa 74 Prozent der HIV-Infizierten in Deutschland gehören zu dieser Gruppe, so Kitter. Von den circa 40 Neuinfektionen in Thüringen in 2015 kamen etwa 30 beim Sex zwischen Männern zustande. Auch Drogenkonsumenten sind besonders betroffen, sie können sich unter anderem durch den gemeinsamen Gebrauch von Nadeln anstecken.

Was tun nach einer Diagnose?

„Weitere Schwerpunkte unserer Arbeit sind die Beratung und Begleitung von Menschen mit HIV“, so Kitter weiter. Hier geht es darum, Ansprechpartner für Fragen, Unsicherheiten und Ängste zu sein, Unterstützung zu bieten. HIV-Tests können anonym und kostenlos auch direkt in der Geschäftsstelle durchgeführt werden. Vor allem bietet der Verein auch Raum zur Selbsthilfe, beispielsweise durch die selbstorganisierten Gruppen.

Nicht alle Betroffenen wenden sich jedoch an die Aidshilfe. „Manche HIV-Positive gehen zwar zum Arzt, wollen ihre Krankheit aber nicht nach außen tragen. So eine Selbsthilfegruppe wird dann schon als Öffentlichkeit empfunden“, so Kitter. Dabei wird in den Gruppen Wert auf Anonymität gelegt. Aber nicht jeder habe den Bedarf, sich auszutauschen, so Kitter. Alternativ gibt es auch ein Buddyprogramm für Neuinfizierte, die sich dann an jene wenden können, die schon länger mit der Infektion leben. Hier können niedrigschwellig Fragen geklärt werden wie: Muss ich meinen Arbeitgeber informieren? Muss ich es jedem meiner Sexualpartner sagen? Wie lebt es sich mit HIV?

Sexualität soll ausgelebt werden

Die Arbeit der Aidshilfe ist dabei von einer besonderen Haltung geprägt, erzählt Kitter: „Wir wollen Menschen in ihrem Erleben von Lust und Sexualität unterstützen, damit sie so lustvoll und froh wie möglich leben können, ohne dass ihr Leben beschattet wird.“ Daher ermutigt die Aidshilfe dazu, das HIV-Risikio realistisch einzuschätzen und sich über entsprechende Schutzmöglichkeiten beim Sex zu informieren. Mit der bewussten Entscheidung für einen Schutz steht einem unbeschwerten und genussvollen Sexualleben dann nichts mehr im Weg.

„Es lohnt sich, sich nicht zu infizieren“

Obwohl sich die Therapiemöglichkeiten der Immunschwäche-Krankheit in den vergangenen Jahren rapide gebessert haben, herrscht in der Öffentlichkeit immer noch ein antiquiertes Bild, findet Kitter. „Aids ist keine tödliche Bedrohung mehr, es gibt inzwischen sehr wirkungsvolle Medikamente.“ Das zeigen auch die Sterbezahlen: In den vergangenen fünf Jahren starben so gerade einmal 13 Thüringer an AIDS. „Trotzdem lohnt es sich natürlich, sich nicht zu infizieren“, fügt Kitter hinzu. Denn die Medikamente sorgen nur dafür, dass sich der Virus im Körper nicht weiter ausbreitet, los wird man ihn jedoch nie.

Bei einer erfolgreichen Therapie, etwa wenn die Infektion frühzeitig erkannt und das Immunsystem noch nicht so stark geschädigt wurde, sinkt die Anzahl der Viren sogar unter die Nachweisgrenze. Dann bleibt der Betroffene zwar Träger des HI-Virus, ist aber nicht mehr ansteckend für andere, und das Fortschreiten der Infektion wird so aufgehalten. Im alltäglichen Leben wie in Beruf, Freizeit und auch Sexualität treten dann kaum Einschränkungen auf. Medikamente müssen die Betroffenen aber ein Leben lang nehmen.

Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung

Kitter wirbt vor allem für ein anderes Bild der Krankheit Aids und tritt gegen die Ausgrenzung von Menschen mit HIV ein. „Noch immer werden HIV-Positive gedanklich am Rand der Gesellschaft verortet. Es gilt das Klischee: Aids bekommt man nicht, man holt es sich.“ Noch immer sei die Krankheit ein Tabuthema, über das ungern gesprochen wird. Dabei erleben die meisten Infizierten bei ihrem „Outing“ aus ihrem persönlichen Umfeld vor allem Unterstützung und Akzeptanz.

Die Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung bleibt jedoch groß, und das nicht ohne Grund. Häufig machen HIV-Positive im Alltag Diskriminierungserfahrungen, beispielsweise wenn Ärzte aus Angst vor Ansteckung anderer Patienten nur Termine am Ende der Sprechstunde vergeben. Dabei besteht laut Kitter keine besondere Infektionsgefahr: „Normale Hygienemaßnahmen sind da vollkommen ausreichend.“

„HIV-Positive sind keine Virenschleudern“

Für die Zukunft wünscht sich der Projektleiter vor allem, dass die Ausgrenzung von HIV-Positiven aufhört. „Diese Personen sind keine Virenschleudern, sondern ganz normale Menschen. Jeder kann sich mit HIV infizieren.“ Politisch sieht er vor allem Nachholbedarf bei der Finanzierung der Geschäftsstelle. Denn die Aidshilfe wird mit Geldern des Landes, der Städte und der Krankenkassen finanziert, die jedes Jahr wieder neu verhandelt werden. „Es ist an der Zeit, die Präventionsarbeit wieder auf eine solidere Basis zu stellen. Wir können mehr. Doch dazu brauchen wir die entsprechenden Ressourcen“, so Kitter.

Auch die Präventionsarbeit und der Zugang von Menschen mit besonders hohem Infektionsrisiko zu prophylaktischen Medikamenten solle gestärkt werden. Insgesamt sieht er die Arbeit jedoch auf einem guten Weg. „Die Zahl der Neuinfektionen bleibt seit Jahren ungefähr gleich, wir bewegen uns auf einem vergleichsweise niedrigem Niveau“, so Kitter. „Trotzdem ist jede Infektion eine zu viel.“

Aids und HIV, was ist der Unterschied? Die Antwort auf diese und viele andere Fragen findet ihr hier.