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Afghanisches Mädchenorchester kommt nach Weimar

Afghanisches Mädchenorchester kommt nach Weimar

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Negina Khapalwak dirigiert das Frauenorchester Zohra aus Afghanistan bei einer Probe in Kabul. Foto: Mohammad Jawad/dpa

Negin stammt aus Kunar, einer konservativen afghanischen Provinz voller Extremisten. Im Januar wird sie ein Mädchenorchester aus Afghanistan auch in Berlin und Weimar dirigieren. Eine Botschaft der Hoffnung? Nicht nur.

Negin hat nicht viel Zeit. Sie kommt hereingesaust in das Zimmer, in Jeans und Strickjacke, den Schal um den Hals, nicht auf dem Kopf. „Fünf Minuten habe ich“, sagt sie fröhlich und legt den Dirigentenstab neben sich. Ein paar Türen weiter, im Musiksaal, warten 30 Mädchen auf sie, Instrumente in den Händen und Schmetterlinge im Bauch. Die Mitglieder von Afghanistans erstem Frauenorchester Zohra werden am 20. Januar beim Abschlusskonzert des Weltwirtschaftsforums in Davos spielen. Nach dem ersten Konzert im Ausland sind auch Auftritte in Berlin und Weimar geplant.

Die ersten Musikerinnen in der Familie seit 30 Jahren

Der Auftritt der afghanischen Mädchen in Davos vor einigen der wichtigsten Regierungschefs, Wirtschaftsexperten und Intellektuellen der Welt soll eine Art Botschaft sein: Seht her, was für Frauen heute alles möglich ist in Afghanistan – 15 Jahre, nachdem die Welt mit Soldaten und Entwicklungshelfern angetreten war, die radikalislamischen Taliban aus Afghanistan zu vertreiben.

Video: So klingt die Musik des afghanischen Frauenorchesters

„Sie sind die ersten Frauen in ihren Familien, in ihrem Land, die seit mehr als 30 Jahren Musikerinnen werden“, schreibt Nico Daswani, der für das Weltwirtschaftsforum die Kultursegmente organisiert. „Und dies passiert in einem Land, in dem Frauen die schwerste Last zu tragen hatten über mehr als drei Jahrzehnte Krieg.“

Mädchen besuchen afghanische Musikakademie

Negin Khapalwak, 19 Jahre alt, sieht das selber so, das mit der Botschaft. Sie ist nicht etwa Musikerin geworden, weil sie Musik liebt, sondern weil sie Afghanistan zeigen wollte, dass Mädchen mehr können als die Männer im konservativen Land ihnen zugestehen wollen. „Als ich das erste Mal von dieser Musikschule gehört habe, wusste ich gar nichts über Musik. Ich hatte nur niemals von einem Mädchen gehört, das Musikerin ist, und ich wollte unserer Gesellschaft beweisen, dass Mädchen alles tun können.“

Das Orchester ist Teil der einzigen professionellen Musikakademie des Landes, des Afghanischen Nationalinstituts für Musik (ANIM). Dort studieren, finanziert von ausländischen Gebern, 170 Kinder afghanische, aber auch klassische westliche Musik. Unter ihnen sind viele Mädchen, was ungewöhnlich ist im konservativen Land.

Negin soll Botschaft vom Fortschritt nach Davos bringen

Negin ist seit sieben Jahren dort, seit drei Jahren lernt sie das Dirigieren. Ihre Familie stammt aus der Provinz Kunar, die ländlich und konservativ ist und ein Hort islamistischer Gruppen. Ihre Mutter und die Onkel waren dagegen, dass Negin Musik studiert. Das ist nicht unsere Kultur, haben sie gesagt. Es ist schlecht für den Stamm, wenn ein Mädchen Musik macht. Musiker, die sind lockeres Volk. Musik ist für Hochzeiten. Fürs Tanzen, das von Konservativen oft als unschicklich verurteilt wird. Nur der Vater hat Negin unterstützt.

Negin aus Kunar als Dirigentin in Davos – es ist eine weite Reise. Aber die Botschaft vom Fortschritt, die sie in Davos vermitteln soll, ist auch verzerrt. In Afghanistan herrscht wieder Krieg. Die meisten internationalen Truppen sind 2014 abgezogen. Die Hoffnung, dass Afghanistan nun allein zurechtkommt, hat sich als verfrüht erwiesen. Die Taliban beeinflussen oder kontrollieren wieder zehn Prozent des Landes, weitere 20 sind umkämpft, sagen Experten.

Familienmitglieder haben sie bedroht

Zehntausende Frauen leben wieder in Gegenden unter Taliban-Herrschaft. Menschenrechtsaktivisten sind besorgt, weil die Islamisten ihre Vorstellungen von Recht und Strafe zurückbringen und es wieder erste Berichte gibt von Frauen, die für vermeintlich unmoralisches Verhalten gesteinigt oder ausgepeitscht wurden.

Für die Mädchen vom Orchester wird es mitunter sogar in Kabul brenzlig. Neulich hat der Busfahrer Negin verhöhnt. Pfui, an der Danbora-Schule willst du raus? Die Danbora ist ein Saiteninstrument. Es war eine Beleidigung, als hätte er sie Schlampe genannt. Andere im Orchester wurden angefeindet, weil sie ein Instrument bei sich hatten. „Ich fürchte mich nicht – die meiste Zeit“, sagt Negin. „Aber wenn ich daran denke, dass meine Onkel mich bedroht haben, dann hab ich doch manchmal Angst, dass mir auf dem Heimweg etwas passiert.“

Konzert am Musikgymnasium Belvedere in Weimar

Nach dem Konzert in Davos reisen Negin und ihr Orchester weiter, auch nach Deutschland. In Berlin und Weimar werden sie zusammen mit Studenten des Musikgymnasiums Schloss Belvedere spielen, wie in Davos spielen sie afghanische Volkslieder und ein wenig Beethoven.

Am 19. Januar gibt es in Davos auch eine Podiumsdiskussion mit Negin. Titel: „Die Taliban mit Musik bekämpfen.“ Es ist ein ungleicher Kampf für ein Mädchen aus Kunar, das nur mit einem Stöckchen bewaffnet ist.