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Blieb Weimar ein Tag der Gewalt erspart? Hintergründe zur rechten Demo-Absage

Blieb Weimar ein Tag der Gewalt erspart? Hintergründe zur rechten Demo-Absage

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Teilnehmer eines sogenannten Trauermarsches von Neonazis gehen am 07.02.2015 mit einem Transparent mit der Aufschrift "Ehrenhaftes Gedenken" durch Weimar (Thüringen). Der sogenannter Trauermarsch von Neonazis fand anlässlich der Bombardierung Weimars am 9. Februar 1945 statt. Foto: Sebastian Kahnert/dpa
  • Antifa und Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus demonstrieren in Weimar
  • Geplanter „Trauermarsch“ vom Gedenkbündnis und Die Rechte weicht nach Dresden aus
  • Blieb Weimar dadurch ein Tag mit heftigen Demo-Krawallen erspart?

Der vom Gedenkbündnis Weimar und der Partei Die Rechte für Samstag geplante Gedenkmarsch in Weimar, anlässlich der Bombardierung am 9. Februar 1945, wurde abgesagt. Die Gegendemonstrationen fanden trotzdem statt und waren überwiegend friedlich. Doch über die Hintergründe der vorangegangenen Absage gibt es verschiedene Theorien. Eine nicht unerhebliche Rolle könnte dabei einem gefälschten Brief zukommen, der in in den vergangenen Tagen Weimarer Bürger verunsicherte und möglicherweise der Vorbote von Demo-Krawallen war. Oder war es doch die große Anzahl an mobilisierten Gegendemonstranten?

Offizielle Darstellung: Was sagen die Demonstrationsparteien?

Offiziell widerspricht das rechtsextreme „Gedenkbündnis Weimar“ (GbW) auf seiner Facebook-Seite der Darstellung, die Mobilisierung des Weimarer Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus (BgR) habe den Ausschlag für die Absage gegeben. Vielmehr wolle man bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Dresden teilnehmen und selbst entscheiden, wann und wo man gedenke. Außerdem wird mitgeteilt, dass man „bei der Versammlungsbehörde bis 2025 im Februar Gedenkmärsche in Weimar angemeldet“ habe.

„Wir konnten ihnen diesen Tag mindestens in diesem Jahr nehmen!“ reagierte das Bürgerbündnis auf die Absage der Demo in einer Pressemitteilung am Donnerstagabend. Auf Seiten des BgR vermutet man, dass die zahlenmäßige Stärke des diesjährigen Protestes den Ausschlag für die Absage gegeben hat. Das Bündnis rechnete zwischenzeitlich mit 1500 Gegendemonstranten auf 150 Teilnehmer des geschichtsrevisionären Trauermarsches. „Wir werden nach jetzigem Stand immer wieder mobilisieren und Protest organisieren, wenn Nazis hier aufmarschieren wollen“, sagte Uwe Adler, Sprecher des BgR, gegenüber Thüringen24.

Inoffizielle Version: Rechte befürchten Krawalle

Nach Thüringen24-Informationen könnte aber noch ein anderer Grund vorliegen: Mutmaßliche Aktivisten aus der Antifa-Szene könnten die Verfasser eines gefälschten Aufrufes an die Weimarer Bevölkerung sein, am Samstag ihren Sperrmüll auf die Straßen zu stellen. Nach bisherigen Recherchen deckt sich das Zustellungsgebiet mit den Demonstrationsrouten der Antifa-Demonstration am Freitag sowie dem abgesagten Gedenkmarsch des GbW am Samstag. Gegen den Verfasser des Briefes ermittelt die Polizei. Er fordert für Samstagabend, ab 20 Uhr, eine Bereitstellung des Sperrmülls – „Haushaltskleinkram“ sei unerwünscht. Ab 13 Uhr war der rechte Gedenkmarsch angemeldet gewesen. Dass der Sperrmüll zweckentfremdet werden könnte, davon gingen offenbar auch die Verantwortlichen des abgesagten Demonstrationszuges aus. In Leipzig bildeten im Jahr 2015 Linksextremisten mit den Ergebnissen eines gefälschten Sperrmüll-Briefes Barrikaden und steckten diese bei einer rechten Demonstration in Brand.

Gedenkmarsch nach Dresden verlegt

„Es ist nicht so, dass wir deswegen Angst haben“, so Enrico Krause, Parteileiter der Region Westthüringen von Die Rechte. „Wir wollen uns nicht mit den Krawallen auseinandersetzen müssen.“ Man wolle der eigenen Trauer nun in Dresden als größerer Stadt gedenken. Gleichzeitig wolle man durch das Abrücken vom Demonstrationsort Weimar „die Sicherheit der Bürger gewährleisten“. Warum man nicht gleich auf die Demo-Anmeldungen verzichtet, wo sie doch immer Gegenproteste hervorrufen? „Das ist ja keine Demo, sondern ein Trauermarsch. Und so haben wir das auch angemeldet“, sagt Krause. Auch in Dresden werde man Konsequenzen ziehen, wenn es zu Krawallen kommen könnte, so Krause.

Kampf um die „Frontstadt“ Weimar

Im Vorfeld hatte ein Antifa-Bündnis unter dem Motto „Organize!“ angekündigt: „Wir haben uns entschlossen, dieses Jahr einen anderen Weg zu gehen. Wir wollen mit einer entschlossenen Demonstration unseren Antagonismus gegen den Nazihaufen vorantreiben“, heißt es auf der Homepage der Antifaschistischen Koordination Weimar (AKWeimar). Dabei bringen die Schreiber Weimar als „Frontstadt“ ins Gespräch. Dabei handelt es sich laut Antifa um einen Strategie-Begriff aus der Neonazi-Szene. In „Frontstädten“ herrsche besonders großer gesellschaftlicher Widerstand, dem man sich bewusst entgegenstellt. Eine Strategie, die die regelmäßigen Demonstrationen der ausländerfeindlichen Thügida-Bewegung in Jena erklären würde. Hier wird die Konfrontation mit dem breiten bürgerlichen Bündnis gegen Rechts regelmäßig durch Thügida-Chef David Köckert gesucht.

Gedenkmarsch-Anmelder Michél Fischer: gewaltbereit und gut vernetzt

In Weimar werden die rechten Demos vor allem von Michel Fischer angemeldet. Der Infoblog thueringenrechtsaussen.wordpress.com nennt ihn den „Tannrodaer Neonazi“. Als Anmelder des Gedenkmarsches und Parteimitglied von Die Rechte fiel er in der Vergangenheit bereits medienwirksam auf. So etwa am 27. Juni 2015, als er am Rande einer rechten Demonstration durch Jena, einen Journalisten angriff. Folgendes Video zeigt seine Festnahme:

Mit seiner wiederholten Anmeldung der Februar-Gedenkmärsche in Weimar, trug Fischer auch maßgeblich dazu bei, dass daraus eine Plattform für Rechtsextreme erwuchs. So kam laut AKWeimar-Recherchen am 7. Februar 2015 etwa der geschichtsrevisionistische Michael Zeise ans Rednerpult. Zeise trug dabei eine Mütze mit dem Logo der rechtsextremen Partei Der Dritte Weg und forderte in seiner Rede ein Ende des „Schuldkultes der Deutschen“. 70 Jahre Erinnerung an den Holocaust seien genug. Laut AKWeimar soll Zeise auch Kontakte zum NSU-Helfer Ralf Wohlleben gehabt haben.

Gedenkmarsch 2014: Neonazi-Angriff auf Polizeichef

Als trauriger Höhepunkt der „Trauermärsche“ durch Weimar darf der Angriff eines Neonazis aus der Berliner Szene auf den damaligen Polizeichef und Einsatzleiter Ralf Kirsten angesehen werden. Kirsten soll die Person während des Gedenkmarsches am 8. Februar 2014 zum Abnehmen seiner Vermummung aufgefordert haben. Daraufhin wurde der Polizeichef körperlich attackiert und ging in Folge der Rangelei zu Boden. Kirsten wurde dabei leicht verletzt.

Krawalle zwischen Gegendemonstranten und Beamten

Auf den vergangenen Gedenkmärschen kam es auch wiederholt zu Konfrontationen zwischen Gegendemonstranten und den Ordnungshütern, die punktuell auch in Gewalt mündeten. Beim Gedenkmarsch am 6. Februar 2016 versuchten mehrere Personen Polizeisperren zu stürmen, um die Zugstrecke der Geschichtsrevisionisten zu blockieren. Bei den Auseinandersetzungen wurden vier Beamte verletzt, drei davon durch das Pfefferspray der Kollegen.

Die Linke Kreisverband und BgR distanzieren sich von Gewalt

„Gegenprotest muss immer friedlich bleiben“, sagt Daniel Priem, Pressesprecher von Die Linke/Kreisverband Apolda-Weimar. Was die Sperrmüll-Briefe angeht, sagt er: „Wenn die Fälschungen wirklich in Verbindung mit der Demonstration stehen, dann verurteilen wir das. Die Aktion hat die Bevölkerung verunsichert. Es deckt sich auch nicht mit unserem Verständnis von Demonstrationsfreiheit, wenn die Bevölkerung hier angestiftet wird.“ Sollte ein „anderer Teil“ der heterogenen Antifa-Szene dahinterstecken, dann würde das die Antifa diskreditieren. Zusätzlich würde man sich als Partei Die Linke klar davon distanzieren. „Es ist schwierig von einer gemäßigten Antifa zu sprechen, aber es gibt dort wirklich Leute, die die Bevölkerung auf eine sehr legitime Weise auf Proteste aufmerksam machen.“ Ähnlich formuliert es auch BgR-Sprecher Uwe Adler. Gerade für ein breites bürgerliches Bündnis einer demokratischen Gesellschaft stellt Gewalt kein passendes Mittel des Protestes dar.