Eine Entscheidung eines 21-Jährigen sorgt in Thüringen für ordentlich Gesprächsstoff: Der Bäcker-Azubi Louis schmeißt hin. Nicht weil ihm der Job keinen Spaß macht, sondern weil die Arbeitszeiten sein Privatleben crashen und den Schlafrhythmus zerstören (wir berichteten).
Auch in der Thüringen24-Redaktion wird heiß über das Ausbildungs-Aus diskutiert. Während unsere Redakteurin der Meinung ist, der Bäcker-Beruf und die Arbeitszeiten seien „selbst gewähltes Leid“, sieht unser Redakteur das anders. Ein Kommentar.
Thüringer Azubi sorgt mit Kündigung für Kontroverse
Die Zeit nach der Schule ist wohl einer der spannendsten Lebensabschnitte. Immerhin stellt man hier die Weichen für seine berufliche Zukunft. Flyer zu Ausbildungsberufen und Studiengängen werden gewälzt und Praktika absolviert, um den für sich perfekten Job zu finden. Und trotzdem stellt man manchmal während der Ausbildung oder des Studiums fest, dass die falsche Wahl getroffen wurde. Ebenso geht es einem 21-jährigen Thüringer, der nun seine Stelle bei einem Traditionsbäcker in Erfurt schmeißt. Was mich allerdings stutzig macht: Laut Angaben des MDR liegt das nicht an der Tätigkeit selbst, sondern an den Arbeitszeiten.
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Mir stellt sich die Frage: Weiß man so etwas nicht vorher? Ich habe Verständnis dafür, wenn der Beruf doch anders ist, als man ihn sich vorgestellt hat – aber die Arbeitszeit, vor allem im Bäckerhandwerk, ist doch kein Geheimnis. Ich bin doch auch nicht überrascht, dass Taxi-Fahrer häufig nachts unterwegs sind oder Flugbegleiter neben den wechselnden Arbeitszeiten auch noch den Wechsel des Landes verkraften müssen. Als Heranwachsender sollte man doch bereits in der Lage sein, einschätzen zu können, ob man dem gewachsen ist oder nicht.
Jetzt steht mehr oder minder die Frage im Raum, ob Bäckereien nicht nur in Thüringen, sondern generell ihre Öffnungszeiten nach hinten verschieben. Damit wird der Beruf des Bäckers natürlich attraktiver, die Läden für Kunden aber deutlich unattraktiver. Klar, wir frühstücken alle gerne mal spät. Aber in der Regel suche ich Bäckereien morgens auf dem Weg zur Arbeit auf. Was nützen mir da Öffnungszeiten ab 10 Uhr? Mein Inneres schreit: „Halt Stopp, alles bleibt so wie es ist!“, auch wenn das sonst wirklich nicht meine Art ist. Deshalb kann ich nur sagen: Augen auf bei der Berufswahl! Mein Kollege ist da allerdings ganz anderer Meinung.
Thüringer Bäckereien müssen sich den Realitäten stellen
Klar, jeder Beruf hat seine Schattenseiten und jeder muss sich vor dem Beginn einer Ausbildung bewusst machen, auf was er sich da einlässt. Aber ich finde: Die Thüringer Bäckereien müssen sich der Wirklichkeit einer sich verändernden Welt stellen. Es vergeht kaum ein Monat, in dem wir nicht vom Aus der nächsten Traditionsbäckerei irgendwo bei uns im Freistaat berichten. Mitunter sind das Familienbetriebe, die in der dritten oder vierten Generation plötzlich die Segel streichen müssen. Nicht weil die Kundschaft fehlt, sondern weil sich keiner findet, der den Betrieb weiterführen möchte.
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Der Fachkräftemangel ist gerade in Flächenländern wie Thüringen eine Realität, vor der man sich auch als Traditionshandwerk nicht verstecken kann. In unserem Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt startete etwa letztes Jahr eine Anwerbekampagne für Fachkräfte aus Vietnam. 133 Menschen aus dem Land haben in diesem Jahr ihre Ausbildung begonnen – zunächst liegt der Fokus hier auf dem Hotels, Restaurants und Co. Perspektivisch soll damit aber auch dem Bäckereihandwerk unter die Arme gegriffen werden.
Die „Brotklappe“ in Weimar versucht sich dem Problem mit einem ganz anderem Konzept zu stellen – und setzt nach eigenen Angaben auf einen „Melting Pot“ von Mitarbeitern, zu denen zum Beispiel auch Quereinsteiger zählen. Also Brot-Handwerk im „Learning by Doing“-Prinzip ohne die klassische Ausbildung – und ohne die Berufsschulbank zu drücken. Das kann funktionieren und junge Menschen für ein Handwerk begeistern. Am Ende hat man aber auch keinen Gesellenbrief in der Hand und muss praktisch immer wieder aufs Neue beweisen, dass man etwas von Brotbacken versteht.
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Wie sich junge Menschen sonst für den Beruf begeistern lassen, bleibt die Frage. Ja, es gibt sie: die Jugendlichen, die sich durchaus vorstellen können, mit ihren Händen noch Geld zu verdienen. Gerade in der Bäckerei stellen die Arbeitszeiten eine große Hemmschwelle dar. Dem kann man sich auch mit neuen innovativen Geschäftsideen entgegenstellen wie zum Beispiel die „Au Backe“-Brotmanufaktur in Erfurt. Statt klassischer Öffnungszeiten setzt der Betrieb hier auf „Bestell Brot“. Ein Modell, mit dem sicher nicht jede Bäckerei fahren muss, mit dem sich für die Bäckermeister und -gesellen – und ja, auch Azubis – ganz andere Arbeitszeiten ermöglichen lassen. (mit dpa)