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Corona in Thüringen: Von „Patient Null“ bis zum Hotspot – dieser Kreis kämpft seit einem Jahr! „Sind müde geworden“

Corona in Thüringen: Von „Patient Null“ bis zum Hotspot – dieser Kreis kämpft seit einem Jahr! „Sind müde geworden“

Corona-Thüringen
Im Saale-Orla-Kreis in Thüringen gab es im März 2020 den ersten Corona-Fall im Freistaat. Seitdem ist ein Jahr vergangen – und der Landkreis noch immer ein Hotspot. Foto: dpa / Boris Roessler

Schleiz/Erfurt. 

In die Geschichte der Corona-Pandemie in Thüringen ist der Saale-Orla-Kreis als Region mit der ersten Infektion eingegangen.

Nun ist gut ein Jahr vergangen – und der Saale-Orla-Kreis in Thüringen gehört bis heute zu den Kreisen bundesweit, die besonders schwer unter Corona leiden. Ein Rückblick.

Corona in Thüringen: Er war „Patient Null“ – dann beginnt der Ausnahmezustand

Anfang März 2020 kommt die Corona-Pandemie aus Italien nach Thüringen: Am Abend des 2. März meldet der Freitsaat den ersten bestätigten Fall einer Infektion mit Sars-CoV-2 – im Saale-Orla-Kreis. Ein damals 57 Jahre alter Mann hat sich im Skiurlaub infiziert. Dass dem „Patienten Null“ binnen 12 Monaten mehr als 74.000 Infizierte und fast 2800 Todesfälle folgen würden, kann sich zu diesem Zeitpunkt kaum jemand vorstellen.

Seit einem Jahr befindet sich Thüringen im Ausnahmezustand, taumelt zwischen Lockdowns und Lockerungen hin und her – und ist derzeit das von der Pandemie am schwersten betroffene Bundesland. Und ein Ende des Ausnahmezustands scheint nicht wirklich in Sicht. Nicht nur Medizinern machen die zunehmend beobachteten Virusmutationen Sorgen, vor allem die deutlich ansteckendere Variante mit Ursprung in Großbritannien.

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Auch Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) schwant nichts Gutes. „Ich glaube, dass wir jetzt mindestens am Beginn der dritten Welle stehen“, sagt die 52-jährige Politikerin. „Wir müssen sehr genau darauf schauen, wie sich das entwickelt.“ Im Saale-Orla-Kreis haben Landrat Thomas Fügmann CDU) und Amtsarzt Torsten Bossert ähnliche Befürchtungen.

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Das ist das Bundesland Thüringen:

  • der Freistaat Thüringen hat rund 2,1 Millionen Einwohner auf 16.000 Quadratkilometer Fläche
  • Landeshauptstadt und zugleich größte Stadt ist Erfurt
  • weist eine hohe Dichte an wichtigen Kulturstätten auf, darunter das „Klassische Weimar“ (Unesco-Weltkulturerbe), das Bauhaus in Weimar und die Wartburg bei Eisenach
  • Ministerpräsident ist Bodo Ramelow (Linke), regierende Parteien sind Linke, SPD, Grüne

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Saale-Orla-Kreis trifft es besonders schlimm – „Inzidenzwert von fast 500“

Der Kreis mit rund 80.000 Einwohnern im Südosten Thüringens gehört seit einem Vierteljahr zu den Landkreisen bundesweit, in dem die Pandemie besonders grassiert. Ausgerechnet Weihnachten war es besonders schlimm. „Heiligabend hatten wir einen Inzidenzwert von fast 500“, sagt Fügmann. Der Wert gibt an, wie viele Menschen bezogen auf 100.000 Einwohner sich binnen sieben Tagen mit dem Virus infiziert haben.

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Dabei war der Kreis noch halbwegs glimpflich durch die erste Pandemiephase gekommen, wenngleich es dort auch schwere Corona-Ausbrüche mit Toten – etwa in einem Pflegeheim – gegeben hatte. Gleich nach Bekanntwerden von „Patient Null“ exerzierte der Landkreis das durch, was kurz darauf ganz Thüringen mit weitgehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens erlebte.

„Wir haben sofort einen Pandemiestab eingerichtet, Veranstaltungen mit mehr als 50 Menschen untersagt und das Gymnasium in Pößneck vorsorglich geschlossen“, so Fügmann. An der Schule waren Kontaktpersonen des ersten Infizierten ermittelt worden. Mehrere hundert Menschen wurden auf das Virus getestet. „Wir waren vorbereitet“, betont Amtsarzt Torsten Bossert. „Und dann brauchte das Landesamt für Verbraucherschutz eine Woche zum Auswerten der Corona-Tests.“

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Ländliche Regionen stärker betroffen – „Persönliche Kontakte sind hier viel intensiver“

Bei der Unterstützung durch das Land habe es anfangs sehr gehakt, sagt Fügmann im Rückblick. Bei der Ausrüstung mit Schutzkleidung und Handschuhen – woran es landesweit mangelte – sei der Kreis zunächst auf sich selbst gestellt gewesen. „Zum Glück hatten wir die Vorräte in unserem Katastrophenlager gerade wieder aufgefüllt“, so Bossert. Für das Gesundheitsamt kam massiv Hilfe aus der eigenen Verwaltung. Bis heute hilft auch die Bundeswehr. Für Corona-Schnelltests in Betrieben hat der Kreis in Eigenregie Freiwillige geschult.

Dass ausgerechnet das ländlich geprägte Thüringen in der zweiten Pandemiewelle so schlimm erwischt wurde, hat viele Menschen verwundert. „In der ersten Welle haben vor allem Touristen für die Virusverbreitung gesorgt“, sagt der Infektionsmediziner Mathias Pletz vom Universitätsklinikum Jena. Davon seien diese Regionen zwar nicht so sehr betroffen gewesen. „Doch wenn einmal ein gewisses Virusaufkommen vorhanden ist, kann das schnell explodieren – zumal in ländlichen Regionen, wo die persönlichen Kontakte der Menschen viel intensiver sind.“ Die Intensität, nicht allein die Zahl der Kontakte, sei das Entscheidende.

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Dabei spiele neben einer gewissen Ungezwungenheit im familiären Bereich auch die Vereinskultur eine Rolle, so Pletz. „Auf dem Dorf ist man ja auch ein Stück aufeinander angewiesen“, erklärt Fügmann. „Man kennt sich, pflegt Kontakte, hilft sich untereinander. So passieren Ansteckungen.“

Gesundheitsministerin: „Wettlauf gegen die weitere Verbreitung“

Im Saale-Orla-Kreis spielten zudem die Nähe zum fränkischen Teil Bayerns und zu Tschechien, wo die ansteckenderen Mutanten grassierten, eine Rolle, betont Bossert. In Betrieben des Landkreises seien zahlreiche Pendler aus Tschechien beschäftigt. Zudem besuchten Kinder aus dem Kreisgebiet Schulen im fränkischen Berg oder in Hof.

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Die Geduld und das Verständnis für die coronabedingten Einschränkungen sieht Fügmann nach einem Jahr Pandemie inzwischen bei vielen Menschen strapaziert – auch wenn sich die meisten daran hielten. „Aber die Menschen sind müde geworden.“ Zwar sei der Kreis auf eine dritte Welle eingestellt. „Doch wir hoffen, dass sie nicht kommt.“ Gesundheitsministerin Werner formuliert es so: „Wir stehen im Wettlauf: Impfen, Kontaktbeschränkungen, Hygienemaßnahmen, AHA-Regeln – gegen die weitere Verbreitung.“ (dpa)